Kritik
Eine Generation trumpft in diesen Wochen auf den deutschen Bühnen noch mal auf: Ilse Ritter, mit ihren 79 Jahren das Küken in dieser Riege der Altmeister*innen, hielt in Thomas Köcks „aerocircus„-Revue im Haus der Berliner Festspiele die Fäden zusammen, Ursula Werner glänzt im Gorki-Studio als in „Muttersprache Mameloschn“ mit ihren 80 Jahren als lebenskluge Großmutter und der 81jährige Manfred Zapatka pflügt mit einer Energieleistung, die viele Jüngere vor Neid erblassen lässt, durch die 100minütige Thomas Bernhard-Suada „Minetti“.
Zapatka trägt mit seiner sprachlichen Kraft die schier endlosen Wiederholungen der Dinkelsbühl-Verachtung, in die sich Bernhards Figur wieder einmal hineinsteigert. Dass Claus Peymann, die selbsternannte Witwe von Thomas Bernhard, Regie führt, ist ein Garant dafür, dass der Abend den boshaft-schneidenden Ton des österreichischen Autors sehr genau trifft. Wie fremd dieser Ton manchen aus den jüngeren Generationen geworden ist, zeigte die irritierende Weinerlichkeit von Rosa Lembecks „Auslöschung“-Monolog am Ende des langen „Extinction“-Abends von Julien Gosselin an der Berliner Volksbühne.
Die Marstall-Inszenierung, die – wie zu lesen war – Peymanns erste Arbeit am Münchner Residenztheater überhaupt war, ist eine Einladung zur Reise in die Theatergeschichte: eine sehr vertraute Ästhetik, eine Langsamkeit, die streckenweise aus der Zeit gefallen wirkt. Museal wirkt der Abend dennoch nicht, dafür sorgt schon die ungeheure Vitalität von Zapatka in der Titelrolle. Dieser „Minetti“ hat fast fünf Jahrzehnte nach der Uraufführung, die Peymann in Stuttgart inszenierte, eine altmeisterliche Gegenwärtigkeit: Ein Ausflug in den Marstall fühlt sich an wie in eine „eigentümliche Zeitblase“, wie Egbert Tholl in der SZ treffend formulierte. Eine Zeitblase, in der prägende Theater-Handschriften ungeachtet aller Stilrichtungen und Moden unbeirrt überdauert haben.
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