Zum Inhalt: »Ich bin, was ich bin und was ich bin, ist kein Geheimnis« – und das soll es auch nicht sein! – 1983 schallt ein Befreiungsschlag vom Broadway bis nach London, Paris, Wien und Berlin und läutet den Siegeszug eines Musicals ein, das alle aufatmen lässt, die sich ein Leben jenseits kleinkarierter Konventionen wünschen. Ein Plädoyer dafür, den eigenen Gefühlen zu trauen, sich nicht zu verstellen und so die Welt zu einem ein bisschen bunteren, schöneren und lebenswerteren Ort zu machen.
Georges betreibt äußerst erfolgreich den Nachtclub La Cage aux Folles. Absoluter Star ist sein Lebensgefährte, die Dragqueen Zaza alias Albin – eine Paraderolle für Schauspieler Stefan Kurt. Abgesehen von Zazas launischen Capricen läuft es gut im Club, bis eines Tages Jean-Michel, Georges Sohn aus einer früherenBeziehung, auftaucht. Jean-Michel liebt seinen Vater und Zaza, die ihn gemeinsam aufgezogen haben, besonders aber liebt er Anne, Tochter eines ultrakonservativen Politikers. Er will sie heiraten und bittet Georges, zu Albins größter Enttäuschung, allein zum ersten Treffen mit der Familie zu kommen. Das erste gemeinsame Abendessen im noblen Salon von Jacqueline lässt sich Albin dann aber doch nicht nehmen, was zu guter Letzt in einem heillosen Durcheinander endet, in dem auch Annes Eltern ganz neue Seiten an sich kennenlernen dürfen...
Mit Peter Renz, Stefan Kurt, Daniel Yrueta Ojeda, Daniela Candela, Nicky Wuchinger, Andreja Schneider u.a.
Der damals 17jährige Barrie Kosky war hin und weg, als er dieses Stück und seine Emanzipations-Hymne „I am what I am“ in New York erlebte, wie er im Programmheft-Interview sagte. Vier Jahrzehnte später lud Kosky sein Publikum zu einer Nostalgie-Reise ein. In seiner ersten Regie-Arbeit nach dem Ende seiner Intendanz an der Komischen Oper, der er als Hausregisseur mit zwei Inszenierungen pro Spielzeit weiter verbunden bleibt, bringt er das Musical mit großem Orchester, queerer Opulenz und 50 Drag Queens auf die Bühne.
Die Begeisterung für und die Ehrfurcht vor diesem Zeitdokument sind der Kosky-Arbeit deutlich anzumerken: er erlaubt sich kaum Aktualisierungen oder Eingriffe, obwohl der Plot sichtlich aus einer anderen Zeit stammt. Der Grundkonflikt zwischen dem Sohn Jean-Michel (Nicky Wuchinger), der sich vor dem reaktionär-rechtspopulistischen Politiker und. Schwiegervater in spe (Christoph Späth) dafür schämt, dass sein Vater Georges (Peter Renz) einen Drag-Club besitzt und mit seinem Hauptdarsteller Albin alias Zaza (Stefan Kurt) seit Jahrzehnten eine Beziehung führt, wirkt heute aus der Zeit gefallen. Mit der eingetragenen Partnerschaft und später der Ehe für alle hat sich unsere Gesellschaft glücklicherweise deutlich liberalisiert.
Kosky nimmt die Dramen seiner Jugend ernst und bietet vor allem seinem vom Sprechtheater kommenden Stargast Stefan Kurt eine Bühne für große Auftritte. Die Rolle der Zaza spielte er vor einigen Jahren auch an der Oper Basel und nun in den tollen Drag-Kostümen, die Klaus Bruns für diese Show entwarf.
„La Cage aux Folles“ wird bei Kosky zur großen queeren Nostalgie-Show in einem von Tom of Finland inspirierten Bühnenbild (Rufus Dwidwiszus). Die Rolle der Jaqueline, die als Verbündete für das Happy-end sorgt, besetzte er in der vergangenen Spielzeit mit Helmut Baumann, der den Broadway-1985 ans Theater des Westens im Herzen des damaligen West-Berlin holte und das Stück nicht nur inszenierte, sondern auch die Hauptrollle spielte. Statt des mittlerweile 84jährigen Ex-Intendanten spielt nun Angelika Milster die Jaqueline.
''Nichts gegen die Darstellungskünste des damaligen Helmut Baumann als Albin/Zaza. Er war 1985 als Hauptdarsteller nur eingesprungen, weil Donald Grobe und Peter Fricke ausgefallen warten. Diesmal, in Gestalt von Stefan Kurt, ist die Hauptrolle, schlicht gesagt: mit einem richtig großen Schauspieler besetzt. Stefan Kurt ist sogar fulminanter Komiker. Er versteht es, auch für schwache Witze richtig abzukassieren. Derweil umgarnt er das Thema des alten Liebespaars mit großartiger Sensibilität und Finesse. Selbst dem Rausschmeißer, der Erkennungshymne "I Am What I Am", verleiht er noch leise Töne. Er funktioniert grundsätzlich im Doppel mit seinem Partner Peter Renz – der hier gleichfalls die Rolle seines Lebens gefunden hat. Beide sind hinreißend – als Komikerpaar. Und triumphieren.
Wo also, bitteschön, kommt da der Glamour her? Der kommt doch. Kosky legt halt ein bisserl mehr Mascara, aber auch Goldlametta und Strass auf. Der Wohnsalon, bevor man ihn in eine katholische Bußkapelle umdekoriert, um den erzreaktionären Schwiegervater in spe zu foppen, dieser Salon also wurde von Tom of Finland persönlich mit Riesenpenissen ausstaffiert (die Aufführung ist ab 16 Jahren). Außerdem mischen die Cagelles – das sind die Grisetten von Saint Tropez – den Laden mit ordentlich Beinarbeit auf. Etwas schlechter weggekommen sind nur Andreja Schneider als - trotzdem geschmackvoll gelöste - Schwiegermutter sowie der konservative Abgeordnete selbst (Tom Erik Lie). Man muss halt Opfer bringen.'' schreibt Kai Luehrs-Kaiser auf rbbKultur