Zum Stück: Die Welt ist aus den Fugen. Nicht nur, dass die Vorboten der französischen Revolution die Gesellschaft durch Klassenkämpfe und Gewalt erschüttern, auch die familiäre Ordnung des alten Grafen von Moor droht zu zerbersten. Franz, der zweitgeborene Sohn, fühlt sich um die väterliche Gunst betrogen und will Rache nehmen. Er ersinnt eine Intrige gegen den älteren, begünstigten Bruder Karl, woraufhin jener vom Vater verstoßen wird. Gekränkt von der Zurückweisung des Vaters schließt sich Karl einer Bande von Räubern an, um gegen die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu kämpfen. Während sich Karl für die Freiheit des Einzelnen und die Emanzipation vom tyrannischen Staat einsetzt, offenbart Franz die dunklen Seiten des Machtstrebens. Die Situation gerät außer Kontrolle, der Kampf um individuelle Freiheit wird zum Zündstoff eines schonungslosen Zerstörungswerks. Hass, Selbstbezogenheit und entfesselte Gewalt greifen um sich.
Claudia Bossard setzt ihre Auseinandersetzung mit der deutschen bürgerlichen Gesellschaft fort: Indem sie Schillers berühmten Klassiker als mentalitätsgeschichtliches Zeitdokument liest, ergründet sie das Zusammenspiel von Kultur, Ethik und Politik im Terror der Festung Familie.
Bühne: Elisabeth Weiß, Kostüm: Andy Besuch, Musik: Annalena Fröhlich, Licht: Cornelia Gloth, Dramaturgie: Daniel Richter.
Mit: Mathilda Switala, Andri Schenardi, Janek Maudrich und Moritz Kienemann
''Kienemanns Spiegelberg wirft Skateboard fahrend hin und wieder ein: „Žižek lesen!“Ansonsten ist er hier für den freiheitlichen und deutsch-nationalen Part in Schillers Gesellschaftskritik zuständig. „Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber die Freiheit brütet Kolosse und Extremitäten aus.“ Also Genie und Wahnsinn. Das geht bei ihm dann von Hermanns Nationalgefühl bis zu „Palästina wegbomben“. Auch vom Stecken im deutschen Schuldturm ist einmal die Rede und was sonst noch so von links bis ganz rechts an Fremdzitaten durch die Inszenierung geistert.
Schillers vermeintlichem Antisemitismus begegnet die Regisseurin, indem sie Karl den Bericht Spiegelbergs über die Vergewaltigung der Nonnen im gebrandschatzten Klosters sprechen lässt. Bossard lässt dann auf der sonst recht leeren Bühne von Elisabeth Weiß einen historischen Reigen von Soldaten in schwarz defilieren. Schillers Räuber-Familie als Keimzelle für Krieg und Extremismus. Das kennen wir schon aus ihrer Uraufführungsinszenierung von Rainald Goetz‘ Stück Baracke. Eine kulturgeschichtliche Entwicklung, die sich hier im Zitatestrom vollzieht. Selbst Roberto Bolaños Roman 2666 ist da vertreten. „Das Trugbild ist eine Besatzungsmacht der Wirklichkeit.“ Eine Fleißarbeit der Dramaturgie, die sich auf der Bühne nicht wirklich bezahlt macht.
„Young, wild, free and german.“ Lauter laute Thesenträger ohne wirkliche Anbindung. Die größte Transformation macht dabei die Rolle der jungfräulichen Amalia durch? „I fucked many of men“, wirft sie dem um sie werbenden Franz entgegen. Als Santa-Stabilo-Stift darf sie dann noch ein paar Reclam-Hefte ins Publikum werfen. Da senkt sich drohend Schillers Glocke vom Bühnenhimmel herab. Nach geschlagenen zwei Stunden Klamauk hat Mathilda Switala mit „Es war ein schreckliches Jahr.“ das letzte Wort. Das dürfte allgemein für die Welt aber auch ganz speziell für das DT zutreffen.'' schreibt Stefan Bock am 23. Dezember 2025 auf KULTURA-EXTRA
Erstaunlich viel O-Ton von Friedrich Schiller ist an diesem vorweihnachtlichen Premieren-Abend an Iris Laufenbergs Deutschem Theater Berlin zu hören.
Der Zugang ist aber dezidiert ironisch und Comedy-haft. Die vier Spieler*innen stürmen zum 90er-Party-Hit „Cotton Eye Joe“ von Rednex in überdimensionalen Reclam-Heftchen-Kostümen von Andy Besuch auf die bis auf ein Reclam-Banner leere Bühne, aus denen nur Arme, Beine und Gesicht hervorlugen. „Wie witzig“, seufzte eine Sitznachbarin, die später immer häufiger ihr Gesicht in den Händen vergrub, je länger der Abend dauerte. Auch danach treten Mathilda Switala (Amalia), Andri Schenardi (Franz von Moor), Janek Maudrich (Karl von Moor) und Moritz Kienemann (Spiegelberg) immer wieder aus ihren Rollen, sticheln gegeneinander in Alltagssprache oder verweisen mit Name-Dropping auf Nietzsche oder Zizek.
Im Programmheft-Interview ließ die Regisseurin verlauten, wie sehr sie sich mit dem Schiller-Text quälte und dass sie ihn für frauenfeindlich und antisemitisch hält. Ihr Bemühen, danach zu fahnden, wie „Die Räuber“ in der Gegenwart zünden könnten, versinkt mangels irgendeiner überzeugenden Regie-Konzeption in zähen zwei Stunden, in denen Schillers Pathos und die Witze aus dem Probenprozess unmotiviert und hilflos nebeneinander standen. Zurecht mischten sich deutlich vernehmbare Buhs für die Regisseurin in den üblichen Premieren-Jubel.