Bewertung und Kritik zu
QUI A TUÉ MON PÈRE (Berlin/Paris)
von und mit Édouard Louis
Leitung: Thomas Ostermeier
Premiere: 20. März 2018 (FIND 2020)
Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin
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Zum Inhalt: »Meine ganze Kindheit über hoffte ich, Du würdest verschwinden.« – Der Abscheu vor seinem gewalttätigen, trunksüchtigen, rechtsradikalen Vater, dessen homophobe Wutausbrüche ihn als schwulen Heranwachsenden in der französischen Provinz fürs Leben traumatisierten, sitzt bei Édouard Louis tief. Doch wenn der französische Autor in seinem jüngsten Text seinem heute schwerkranken Vater gegenübertritt, hat sich die Wut zu Mitgefühl gewandelt: »Du kannst dich nicht mehr hinters Steuer setzen, darfst keinen Alkohol mehr trinken, kannst dich nicht mehr alleine duschen, ohne dass das ein enormes Risiko bedeuten würde. Du bist gerade mal über fünfzig. Du gehörst zu jener Kategorie von Menschen, für die die Politik einen verfrühten Tod vorgesehen hat.« Der scheinbare Täter ist zum Opfer geworden. Sein Hang zur Gewalt erscheint nunmehr als Konsequenz einer kontinuierlich erlittenen Demütigung und sozialen Gewalt. Ausgehend vom zerstörten Körper seines Vaters unternimmt Louis den Versuch einer widerständigen Neuschreibung der jüngsten politischen und gesellschaftlichen Geschichte Frankreichs. Es ist die Chronik eines sukzessiven Mordes, einer vorsätzlichen Verstümmelung durch neoliberale »Reformen«, ihrer Brutalität gegenüber all den Arbeitenden, die ihre Folgen am eigenen Leib erleben müssen. Ein polemisches und rebellisches Pamphlet gegen Vergessen, Ausgrenzung und die physische Gewalt der Klassengesellschaft – und zugleich eine intime Liebeserklärung an einen Menschen, der es einem fast unmöglich macht, ihn zu lieben. Anknüpfend an die gemeinsame Arbeit an der Adaption seines Romans »Im Herzen der Gewalt« bringt Édouard Louis in einem von Thomas Ostermeier inszenierten try-out erstmals ein von ihm verfasstes Werk selbst als Darsteller auf die Bühne.
Mit: Édouard Louis
Video: Sébastien Dupouey & Marie Sanchez
Produktion/Dramaturgie: Elisa Leroy
Kostüm: Caroline Tavernier
Musik: Sylvain Jacques
Dramaturgie: Florian Borchmeyer
Licht: Erich Schneider





