Zum Inhalt: In einer Gegenwart, in der Europa droht in Neofaschismen abzudriften, beansprucht eine Gruppe von Schauspieler*innen eine Roma Armee zu Selbstverteidigungszwecken. Eine schnelle Eingreiftruppe zum Kampf gegen strukturelle Diskriminierung, Rassismus und Antiziganismus, aber auch als Emanzipation aus einer internalisierten Opferrolle. Die Schauspieler*innen sind Romnija, Rom und Romani Traveller aus Österreich, Serbien, Deutschland, dem Kosovo, Rumänien, England und Schweden, sie sind auch israelischdeutsch- türkisch-Berliner Gadjé – sprich die Roma Armee ist übernational, divers, feministisch, queer. Initiiert von den Schwestern Simonida und Sandra Selimović tritt sie als kollektive Selbstermächtigung im Gorki in künstlerische Aktion mit Hausregisseurin Yael Ronen: Im gemeinsamen Rechercheprozess werden persönlich gefasste Erfahrungen, historische Kontaminationen und aktuelle Vorfälle erkundet, woraus ein Theaterstück entwickelt wird. Zusammen mit den bildenden Künstler*innen Delaine und Damian Le Bas aus England entwerfen sie eine Vision für ein Safe European Home in Gypsyland Europa, wie die Le Bas’ es nennen.
Mit Mehmet Ateşçi, Hamze Bytyci, Mihaela Drăgan, Riah May Knight, Lindy Larsson, Orit Nahmias, Sandra Selimović, Simonida Selimović
Bühne: Heike Schuppelius Malerei & Artwork: Damian Le Bas, Delaine Le Bas Kostüme: Maria Abreu, Delaine Le Bas Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi Video: Hanna Slak, Luka Umek Licht: Hans Fründt Dramaturgie: Irina Szodruch
TRAILER
Meinung der Presse zu „Roma Armee“ - Maxim Gorki Theater
''Mag sein, dass es einen derart aggressiven, politisch aktivistischen Selbstermächtigungsabend gegen Antiziganismus gebraucht hat, um die eigene Community zu stärken. Beim militanten Ton, mit dem hier allerdings ans eigene Volk appelliert und gegen alle Nicht-Roma gewettert wird, kann einem aber durchaus mulmig werden.'' schreibt Barbara Behrendt auf kulturradio.de
Roma Armee von Yael Ronen entert das Gorki Theater zum Saisonauftakt
7 Jahre her.
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Kritik
Nach dem schwungvoll-ironischen Intro mit einer Zarah Leander-Parodie ihres schwedischen Landsmanns Lindy Larsson hat der Abend damit zu kämpfen, seinen Rhythmus zu finden. Die „Roma Armee“ hat zwar energiegeladene Songs, mitreißende Beats und rappend herausgebrüllte Wut über Diskriminierung und Geschichtsklitterung zu bieten. Ein starkes, berührendes Statement ist das Solo der Britin Riah May Knight, die als Kind miterlebte, wie sich in ihrem Dorf ein Mob gegen durchreisende Roma bildete. Vor allem in der ersten Hälfte hängt das Stück aber oft zu sehr durch. Vieles wirkt noch unfertig, wie eine ungefilterte Stoffsammlung auf der Probebühne. Hier hätte Yael Ronen die Dialoge stärker verdichten und das Ausfransen in allgemeine, manchmal recht banale Plaudereien über Mobbing und Missachtung verhindern müssen. (...)
Neben den zu großen Schwankungen im Rhythmus ist vor allem der zu pathetische Schluss ein Makel des Abends. In allzu getragenen Sonntagsreden wird das hohe Lied auf die Versöhnung gesungen, manche Zwischentöne klingen geradezu kitschig.
Festzuhalten bleibt: „Roma Armee“ ist ein interessanter Abend, der einer ansonsten wenig sicht- und hörbaren Minderheit eine Stimme gibt und somit perfekt zur Programmatik des Gorki Theaters passt. Trotz eindrucksvoller Momente und mitreißender Szenen ist dieser Saisonauftakt aber doch nicht gelungen. Weiterlesen
Kunterbunte Selbstverteidigungstruppe [i]>>ROMA ARMEE<<[/i] trifft auf die Gorki-Regisseurin Yael Ronen und gemeinsam präsentieren sie eine glamouröse Revue, die Rassismen die Stirn bietet. Vorhang auf für [i]Gypsyland Europa[/i]. Wie in einer Fashionshow treten die Schauspieler*innen mit Elektrosound in knalligen Kostümen auf, laufen nach vorne an den Steg und präsentieren mit Hilfe des Mannes in Glitter ihre Persönlichkeiten. Da ist beispielsweise Mehmet, ein schwul-queerer Raucher und Lindy, ein Roma aus Schwede. Ein Romani-Traveller, der nicht immer offen zugibt, schwul zu sein. Er hat keine Lust sich jedes Mal rechtfertigen zu müssen. Dafür hasst er sich. Ein Stich ins Herz. Choreografisch untermalen die Schauspieler*innen ihre Aussagen und Statements, bis sie sich, beziehungsweise einen Teil ihrer Kleidung abgelegt haben und über ihre Erfahrungen als Ausgegrenzte der Gesellschaft sprechen. Negerlippe, Kanake oder Zigeuner werden sie diffamierend genannt. Was soll in diesem Stück thematisiert werden? – Nun kommen die Angehörigen der Schauspieler*innen zu Wort. Das Ensemble setzt sich an diesem Abend hauptsächlich aus Roma und Romani-Traveller zusammen. Gemeinsam mit den unterstützenden Kräften, Orit und Mehmet ergründen sie das Leben als Roma in unserer Gesellschaft und zeigen auf, wie versucht wird die Geschichte der Sinti und Roma, sowie die Menschen selbst auszulöschen. Beispielsweise erzählt Mihaela von der Zwangssterilisierung ihrer Cousine in einem rumänischen Dorf. Mit der Zwangssterilisierung wurde eine Überproduktion an Kindern verhindert und eine Maßnahme zur Ausrottung der Roma eingeleitet. Der Vorhang mit [i]Gypsyland Europa [/i]wird heruntergerissen. ... Weiterlesen
''Vom kämpferischen Rap und choreografierten Revuetanz fällt man in pathetische Roma-Romantik. Bevor das Ganze aber ins melancholisch-schöne La-La-Gypsyland abdriftet, bekommen die beiden Nicht-Roma auf der Bühne, die israelische Schauspielerin Orit Nahmias und der deutsch-türkische Schauspieler Mehmet Atesci, ihren Rampenauftritt in Carmen-Kostümen, dem theatralischen Zigeuner-Klischee schlechthin, und dürfen nicht ohne Humor stellvertretend für das weiße Publikum ihre „Supporting Role“ reflektieren.
Der Abend findet allerdings hier noch nicht sein Ende. Hinter der Bühne hat sich das Roma-Ensemble schnell ein paar Superheldenkostüme übergeworfen und glitzert nochmal im Rampenlicht, während Lindy Larsson seine Kindheitshelden von Batman und Robin bis zu den X-Men-Mutanten Revue passieren lässt. In einer letzten Vision nimmt Yael Ronen - wie schon in ihrer Münchner Produktion Point Of No Return - wieder Bezug auf Walter Benjamins Engel der Geschichte. Ihr Bild ist ein Rücken-an-Rücken. Der eine schaut in die Zukunft, der andere in die Vergangenheit, dazwischen die Gegenwart. Wir müssen uns umdrehen für einen gemeinsamen Blick in die Zukunft. Let‘s roll!
Das Gorki feiert wieder den Community-Gedanken. Im Publikum muss man da sicher niemanden mehr überzeugen. So ganz überzeugend ist dieser gut gelaunte Revue-Abend dann aber doch nicht.'' schreibt Stefan Bock am 19. September 2017 auf KULTURA-EXTRA