Kritik
''Für alle dienstbaren Theatergeister darf man im Hof kurz ein Licht im Fenster des Theaterraums im ersten Stock anschalten. Eine alte Tradition, wie es heißt. Wie von Geisterhand wird dann auch nach und nach das Licht auf der Treppe nach oben angeschaltet, über die der stufenweise Weg in den Lockdown der Theater und wieder hinaus nachvollzogen wird. Oben angekommen, übernimmt Lichttechniker Rio, ohne den hier nichts laufen würde. Und unter Anleitung von Travestie-Künstler Micha alias Daisy Orkan kann man, natürlich nur wenn man will, auf der leeren Brotfabrik-Bühne eine Shirley-Bassey-Nummer einüben. Glamouröser Goldfinger-Auftritt versus leer stehende Theater für Gerichtsverhandlungen nutzen, wie es Berlins Justizsenatorin vorschlägt. Die Entscheidung dürfte nicht schwer fallen. Eher schon die Wahl zwischen Kunstfreiheit und gesundheitlicher Unversehrtheit aller.
„Kunst ist Lebensmittel“, steht in großen Lettern auf der Fassade der Brotfabrik. Vom Auftritt als echte Supermarktkassiererin schwärmt eine Schauspielerin, die ihren Beruf momentan nicht ausüben kann. Aber es geht nicht nur um den Preis von Nudeln und Klopapier. Wie bestimmt sich der Wert von Kunst, was erwarte ich vom Theater, und was bin ich bereit dafür zu zahlen. Ist die digitale Kost nur ein fader Ersatz für die Livepräsenz im Theater? Beim Blick hinter die Kulissen in die Garderobe oder auf den wieder belebten Platz vor der Brotfabrik darf man die Gedanken schweifen lassen und auch ein Schild malen. Wer will, kann am Ende die Flügel ausbreiten und auf dem Vorplatz landen. Und vielleicht wird einem dafür sogar Beifall gespendet. Der gebührende Lohn, der den Theaterschaffenden momentan so fehlt, wie dem Publikum das Theater überhaupt. Apropos, es fehlen auch Spenden im ganz herkömmlichen Sinn, die, bis das Brotfabrik-Theater in leider noch nicht absehbarer Zeit wieder zum Normalbetrieb übergehen kann, auch dringend benötigt werden.'' schreibt
Stefan Bock am 24. Juni 2020 auf
KULTURA-EXTRA