Zum Inhalt: Eine Zeitlang haben wir über Parsifal und dessen traumtanzenden Blick auf eine ihm fremde Welt gesprochen. Geworden ist es dann die hierzulande nahezu unbekannte Tschechow-Geschichte „Der schwarze Mönch“. Man kann die Geschichte multiperspektivisch von verschiedenen Seiten erzählen. Es geht – vereinfacht gesagt – um die Freiheit. Um die unbändige Sehnsucht des Menschen nach Freiheit und Selbstentgrenzung, nach dem Besonderen und Einzigartigen, nach Kunst und Genialität, und um die Erfahrung, dass dies zu Selbstzerstörung führen kann,- eine „Hamlet“-Figur, zerrissen zwischen der Anforderung, sich in den sozialen Körper einzugliedern und dem Anspruch, eigen und besonders zu sein. Um einen Gärtner, der mit Hingabe und Selbstaufopferung seinen Garten pflegt, von dem er lebt, dem alles Besondere fremd, dienende Arbeit aber heilig ist, um dessen Tochter, die Erlösung von der Garten-Fron in der Kraft der Liebe sucht, und – last but not least: um einen untoten, arabischen Legenden entlehnten, schwarzen Mönch, der zugleich aus dem Arsenal von Edgar Allan Poe stammen könnte. Tschechow treibt den Konflikt zwischen menschlicher Mediokrität und Hypostasierung des Ichs auf die Spitze. Und Kirill Serebrennikov verschärft die Grundkonstellation durch die musikalisch-kompositorische Form des Rondos.
Mit Mirco Kreibich (Andrej Kowrin, Genie), Filipp Avdeev (Andrej Kowrin, Genie), Odin Biron (Andrej Kowrin, Genie), Bernd Grawert (Der Alte), Viktoria Miroschnichenko (Tanja, seine Tochter (jung)), Gabriela Maria Schmeide (Tanja, seine Tochter (älter)), Gurgen Tsaturyan (Der Mönch, Wahnvorstellung)
Regie Und Bühne: Kirill Serebrennikov Co-Regie / Choreographie: Evgeny Kulagin, Ivan Estegneev Mitarbeit Bühne: Olga Pavluk Kostüme: Tatyana Dolmatowskaya Musik: Jēkabs Nīmanis Musikalische Leitung: Ekaterina Antonenko, Uschi Krosch Musikalisches Arrangement "Serenade": Andrei Poliakov Musikalische Einstudierung: Uschi Krosch Licht: Sergej Kuchar Video: Alan Mandelshtamm Dramaturgie: Joachim Lux
Genie und Wahnsinn als Parabel auf die Kunstfreiheit
2 Jahre her.
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Kritik
''Kirill Serebrennikov arbeitet wie schon bei seiner Produktion [i]Decamerone [/i]am Deutschen Theater Berlin mit einem internationalen Ensemble aus Deutschland, Russland, Amerika, Armenien und Lettland. Wie wichtig und bedeutend das gerade jetzt ist, konnte man damals sicher noch nicht erahnen. Denn vor allem das Verbindende der Kunst über Grenzen hinaus macht diesen Abend jetzt so bedeutend. Letztendlich hilft das auch über ein paar dramaturgische Schwächen der Inszenierung in den ersten beiden Teilen, in denen sich das Ensemble durch einige Redundanzen kämpft.
Mirco Kreibich als Kovrin, Bernd Grawert als der Alte und Viktoria Miroschnichenko als Tanja bestimmen den ersten noch recht konventionell inszenierten Teil. Im zweiten kommt Gabriela Maria Schmeide als ältere Tanja hinzu. Eine durchaus interessante Variante, die die Frauen-Figur aufzuwerten versucht. Auf den Kovrin von Mirko Kreibich treffen nun zwei weitere, von Filipp Avdeev und Odin Biron gespielte Kovrin-Figuren, was ab dem dritten Teil durch mehrere schwarz gewandete Mönchsdarsteller dramatisch verstärkt wird. Hier bekommt die Inszenierung endlich auch einen gewissen spirituellen Drive. Die Szenen mit den tranceartigen Gesangs- und Tanzeinlagen der Mönche werden von der durch Kirill Serebrennikov mit drei Gewächshäusern, vier Sonnenscheiben und Videoprojektionen gestalteten Bühne zu einem starken Gesamtkunstwerk ergänzt.'' schreibt Stefan Bock am 9. März 2022 auf KULTURA-EXTRA
Serebrennikows Inszenierung kommt erst im vierten und letzten Akt zu sich. Erst dann setzt er seine Stärke ein: das Sprechtheater wird mit tänzerischen Elementen verknüpft. Die beiden bewährten Choreographen Evgeny Kulagin und Ivan Estegeneev übernehmen wie schon in früheren Arbeiten die Co-Regie. Im finalen Akt wirbeln die Mönche als „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“-Alter ego des Künstler-Genies Kowrin über die Bühne und dem Delirium entgegen.
Diese eindrucksvollen Szenen sprengen die übliche Stadttheater-Ästhetik, aber sie allein machen den Abend noch nicht bemerkenswert. Deswegen ist es konsequent, dass die Theatertreffen-Jury „Der schwarze Mönch“ zwar diskutierte, aber letztlich doch nicht in die 10er-Auswahl einlud.
Das Bemerkenswerteste an der Inszenierung ist, dass sie trotz aller Widrigkeiten stattfinden konnte. Auch der Regisseur Kirill Serebrennikow, der nach langem Hausarrest erst im Januar 2022 erstmals wieder aus Russland ausreisen durfte, war überraschend bei der gestrigen Vorstellung wieder dabei. Arm in Arm mit dem Dramaturgen und Intendanten Lux schwenkte er Plakate für Frieden und Freiheit und setzte mit seinem Ensemble ein politisches Statement gegen Putins Autokratie.
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