Kritik
Mit seiner ergänzenden Import-Politik hatte das Berliner Renaissance-Theater in letzter Zeit immer Glück. Neuestes Beispiel ist die Berliner Premiere der Komödie „Hinter der Fassade“ vom französischen Literaten Florian Zeller, einer Aufführung, die im Hamburger St.-Pauli-Theater am 5. Dezember des Vorjahres erstmals zu sehen gewesen war. Vom selben Autor stammt „Der Vater“, schon zuvor mit Erfolg auf der Charlottenburger Bühne gezeigt. Überdies ist in der deutschen Erstaufführung von Zellers 2015 veröffentlichtem Stück jetzt mit Herbert Knaup einer der bekanntesten deutschen Fernsehdarsteller live zu erleben.
In Florian Zellers Stück „Hinter der Fassade“ (Originaltitel „L’envers du décor“) wird „laut gedacht“ - ein ebenso einfacher wie frappierend wirksamer Trick, den er bei seinem Landsmann Pierre de Marivaux studiert haben dürfte. Auf diese Weise werden die kleinen Alltagslügen pausenlos und zum großen Vergnügen des Publikums entlarvt. Wer sich fragt, ob dieser Kniff denn einen ganzen Theaterabend trägt, kann sich hier vom amüsanten Funktionieren der Methode überzeugen.
Daniel (Herbert Knaup), Verlagslektor und ein Weichei mit Macho-Fassade, versucht seiner Frau Isabelle (Cristin König) beizubringen, dass er sich hat breitschlagen lassen, seinen Freund Patrick (Stephan Schad) samt dessen neuer Freundin Emma (Sinja Dieks) zum Essen einzuladen. Daniel erwartet, dass seine Frau dies als eklatante Taktlosigkeit ablehnen wird, da sie mit Patricks bisheriger Frau Laurence eng befreundet war. Sofort setzen die zur Seite gesprochenen Kommentare ein, die das jeweils eben Gesagte konterkarieren und als scheinheilige Taktik entlarven. Beim Publikum findet diese Doppelgleisigkeit sofort großes und mit Applaus bedachtes Verständnis. Zur Überraschung von Daniel schlägt Isabelle aber selbst vor, das neue Paar gleich am nächsten Samstag einzuladen, und sie hat damit den Gang der Handlung wieder im Griff. Es kommt, wie es kommen muss: Patrick stellt die neue Flamme vor, und Daniel empfängt von der jungen Blondine sofort erotische Impulse. Isabelle ihrerseits lehnt sie anfangs erwartungsgemäß ab, entwickelt aber später im Gespräch ein gewisses Verständnis. Stattdessen entwickelt Daniel schrittweise eine Abneigung gegen seinen langjährigen Freund Patrick und seine Emma. Am Ende kann Isabelle augenzwinkernd verkünden, dass sie als Siegerin aus dem ganzen Geplänkel hervorgegangen ist.
Die Inszenierung von Ulrich Waller läuft flott und ohne Brüche. Das geschickt konstruierte Zweizimmer-Bühnenbild von Raimund Bauer ist dabei eine gute Unterstützung. Natürlich hat Herbert Knaup als Daniel die dankbarste Rolle, die er mit Geschick und Temperament gestaltet, wobei ihm die manchmal im Maschinengewehrtempo hervorgestoßenen Seitenhiebe besonders treffend gelingen. Cristin König entwickelt mehr den intellektuellen Charme einer Lehrerin. Stephan Schad bringt die überwältigende Lust an Emma sehr überzeugend zum Ausdruck, und Sinja Dieks ist in Bestform dieses Paradebeispiel von verführerischer Jugendlichkeit mit Kaninchenjacke und einem Kleid aus durchbrochenem Stoff, der viel Durchblick erlaubt.
Das Publikum ist während des ganzen Stückes quasi der Komplize der Akteure und zeigt größtes Verständnis für die taktischen Winkelzüge. Gutgelaunter, reichlicher Beifall für das gesamte Ensemble.
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