Zum Inhalt: Als Vampir in F. W. Murnaus Film „Nosferatu“ wurde er international zur Kultfigur: Gleichzeitig war Max Schreck Mitte der 1920er Jahre Schauspieler an den Münchner Kammerspielen. Angeblich soll er immer noch in den Kellern an der Maximiliansstraße hausen, wo man – wie schon dazumal unter Otto Falckenberg – „ein Traditionstheater in der Krise“ wähnt. Also engagiert man – endlich – einen wirklichen Star: Aus den Tiefen der Unterbühne steigt Max Schreck empor zu neuer Popularität, während es dem Regisseur dämmert, dass in dieses „blutleere Theater“ möglicherweise mehrere Blutsauger involviert sind – vor und hinter der Bühne. Mehr und mehr lernt er Vampire und deren Leben kennen. Abgekapselt von der Welt, oft als Elite verunglimpft, blicken diese anders auf Krisen und Kriege unserer Tage, denn sie haben schon viele gesehen.
Es stellt sich die Frage: muss man andere aussaugen, um selber zu überleben oder geht das auch anders? Und wird die Bühnenfassung von „Nosferatu“ ein Erfolg oder eine gefährliche Veranstaltung? Fulminante Stummfilm-Klavierbegleitung, live gezeichnete Grusel-Tableaus und ein Ensemble sehr lebendiger Vampire, Menschen und Puppen entführen uns an diesem Abend in ein mitunter sehr komödiantisches Schattenreich.
Mit Katharina Bach, Anton Berman, Sebastian Brandes, Dennis Fell-Hernandez, Walter Hess, Frangiskos Kakoulakis, Nadège Meta Kanku, Johanna Kappauf, Jelena Kuljić, Sofiia Melnyk , Nina Moorgat, Michael Pietsch, Leoni Schulz
Regie Jan-Christoph Gockel Idee und Konzept Jan-Christoph Gockel, Claus Philipp Bühne Julia Kurzweg Kostüme Sophie du Vinage Puppen Michael Pietsch Musik und Komposition Anton Berman Video Lion Bischof Live-Zeichnung Sofiia Melnyk Lichtdesign Christian Schweig Sounddesign Katharina Zorn, Korbinian Wegler Dramaturgie Viola Hasselberg, Claus Philipp Text „van Helsing“ Katharina Bach
Temporeiche Vampir-Splatter-Komödie und kluge Auseinandersetzung mit der Kritik am Haus
2 Monate her.
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Kritik
Selten gelingt Theaterinszenierungen der Balance-Akt, auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu funktionieren. Jan-Christoph Gockels „Oh Schreck!“ schafft das an den Münchner Kammerspielen.
Zunächst ist der Abend eine Hommage an den Stummfilmklassiker „Nosferatu“ und dessen Hauptdarsteller Max Schreck, der in den 1920er und 1930er Jahren auch im Ensemble der Münchner Kammerspiele engagiert war und dort vor allem Nebenfiguren spielte. Puppenbauer Michael Pietsch, bewährter Partner vieler Gockel-Inszenierungen spielt in diesem von der Kulturstiftung des Bundes finanzierten Inklusionsprojekt mit seinen Puppen und einem Cast aus Spieler*innen mit und ohne Behinderung Schlüsselszenen des Films nach, an dessen Remake sich kurz vor der Premiere im Januar auch Kino-Regisseur Robert Eggers ächzend versuchte.
Auf der zweiten Ebene tobt sich eine rasante Splatter-Vampir-Komödie aus: ein Spiel mit den Genre-Motiven, das mit viel Kunstblut und gutem Timing der Gags unterhält.
Drittens ist „Oh Schreck!“ ein Abschied von einem prägenden Schauspieler des Hauses: Walter Hess hat mit 86 Jahren in diesem grellen Trubel noch mal einen eindrucksvollen Auftritt. Seit 2002 ist er im Ensemble der Kammerspiele und gibt an diesem Abend Walther von der Hess, der als einziger Nicht-Vampir unter lauter Vampiren lebt und unbedingt die „Nosferatu“-Hauptrolle ergattern möchte. Dafür besucht er in einem lustigen Video-Einspieler die Würzburger Firma Alphabite, die auf Filmzähne und Spezialanfertigungen spezialisiert. Immer wieder betont er, dass es seine letzte Rolle eines langen Bühnenlebens sein könnte.
Vor allem lohnt sich „Oh Schreck!“ aber als bissig-ironische Auseinandersetzung der aktuellen Intendanz von Barbara Mundel mit der traditionsreichen Geschichte des Hauses und ihren Kritiker*innen. Etwas platt gerät noch die Parodie auf den legendären Vorgänger Dieter Dorn, der für Sprechkunst und Klassikerpflege bekannt war. Dennis Fell-Hernandez spielt Denis Dorn als tobsüchtigen Chef. Umso furioser ist hingegen Katharina Bachs Auftritt als Vampirjägerin Van Helsing. Allein dafür würde sich der Besuch der Vorstellung schon lohnen. In einem Rundumschlag zieht sie all die Argumente durch den Kakao, die gegen Mundels Intendanz ins Feld geführt werden: zu viel Performatives, zu unklare Aussprache, zu blutleer. Ihre Suada wird zu ihrem meiner Meinung nach bislang besten Kammerspiele-Auftritt und einem Beweis, wie vital und vielfältig das Sprechtheater auch jenseits der Klassiker sein kann.