ENGEL IN AMERIKA TEIL I: DIE JAHRTAUSENDWENDE NAHT · TEIL II: PERESTROIKA von Tony Kushner
Regie: Matthias Köhler Premiere: 21. Februar 2025 Schauspiel Köln
Zum Inhalt: USA 1985: Unter der Regierung des Republikaners Ronald Reagan prägt Neoliberalismus das Land, und immer mehr Fälle einer rätselhaften Krankheit, die tödlich endet, werden offenbar. Die AIDS-Epidemie nimmt verheerende Ausmaße an. In New York verlässt Louis seinen Partner Prior, da er dessen Leiden an der AIDS-Erkrankung nicht ertragen kann. Die Ehe zwischen den Mormonen Joe und Harper zerbricht, da Joe homosexuell ist und mit den strengen Verboten seiner Religion und internalisierter Homophobie zu kämpfen hat. Der korrupte, rassistische Anwalt Roy Cohn behauptet, an Leberkrebs zu leiden, obwohl er tatsächlich ebenfalls an AIDS erkrankt ist. Er betrachtet das Virus als die Krankheit der Machtlosen. Und Prior wird in seinem Todeskampf von einem Engel besucht, der ihm eine Botschaft überbringt ...
Tony Kushners preisgekröntes Stück ENGEL IN AMERIKA zeichnet ein vielschichtiges gesellschaftliches Panorama. Es ist nicht nur ein faszinierendes Zeitbild, sondern fragt bis heute nach dem Zusammenhang von individuellen Schicksalen und neoliberalen Strukturen, starren Moralvorstellungen und Stigmatisierung. Regisseur Matthias Köhler kehrt mit seiner Inszenierung des ikonischen Theaterepos ans Schauspiel Köln zurück.
Regie: Matthias Köhler, Bühne: Patrick Loibl, Kostüme: Carla Renée Loose, Video: Marvin Kanas, Musik: Eva Jantschitsch, Lichtdesign: Michael Frank, Dramaturgie: Ida Feldmann. Mit: Sophia Burtscher, Andreas Grötzinger, Nicola Gründel, Ivon Jansen, Kelvin Lonzo, Simon Kirsch, Henri Mertens, Nicolas Streit.
''In Engel in Amerika wird ein weiterer Mann ins Zentrum gerückt: der realhistorische Anwalt Roy Cohn (Andreas Grötzinger), der auch führende Mafiosi erfolgreich vertrat. Er protegierte sogar, wie wir heute über Ali Abbasis im Frühjahr oscarnominiertes Kinodrama The Apprentice wissen, von 1973 bis 1986 den aufstrebenden Unternehmer Donald Trump. In Engel in Amerika bemüht sich der windige Cohn hingegen um den schüchternen Mormonen Joe. Cohn überschreitet ungehobelt und lärmend moralische Grenzen, um erfolgreich zu sein. Er versucht Joe für seine korrupten Machenschaften zu instrumentalisieren und bietet ihn ein Stellenangebot in Washington. Joe, der ebenfalls erzkonservativ und rückwärtsgewandt für die Republikaner eintritt, folgt seinem Beispiel anfangs nur bedingt. Cohn interessiert sich für Joe auch sexuell. Cohn hat sich selbst beim Sex mit Männern mit HIV infiziert, vertritt jedoch die Überzeugung, dass nur Männer ohne Macht schwul seien.
Joe hingegen findet den Mut, sich bei seiner Mutter Hannah (Yvon Jansen) zu outen. Diese ignoriert jedoch brutal seine Worte und nimmt sein Geständnis nicht für voll. Während der Vorführung gibt es jedoch überraschend versöhnliche Annäherungen zwischen Hannah und Prior, wenn sich beide anfreunden.
Das Ensemble agiert wandlungsfähig, dynamisch und humorvoll. Die Inszenierung bietet allerlei Schauwerte: So wird Nicola Gründel mehrfach als Engel mit langen Flügeln während Louis’ Todeskampf von der Bühnendecke herabgelassen. Yvon Jansen sucht als Geist von Ethel Rosenberg den dahinsiechenden Roy Cohn auf, der die Kommunistin einst auf den elektrischen Stuhl brachte. Eine moralisch integre Figur ist hingegen die warmherzige Dragqueen Belize (Kelvin Kilonzo), die tagsüber als schwarzer Pfleger den rassistischen Roy Cohn im Krankenhaus betreut. Er begegnet sowohl Cohn als auch Louis mit Schlagfertigkeit und Toleranz gegenüber deren Lebensentwürfen.
Das Stück beleuchtet eindrücklich, wie Partnerschaften durch (Selbst-)Betrug oder schwere Erkrankungen belastet werden. Die auch in den Bühnenbildern verdeutlichte Brüchigkeit des amerikanischen Traums erscheint gerade in der heutigen Zeit wieder aktuell, wo der amtierende Präsident einen Schutz für Minderheiten abbaut, Hilfsprogramme reduziert oder rückgängig macht und die Rechte der queeren Community angreift und einschränkt.'' schreibt Ansgar Skoda am 10. Juli 2025 auf KULTURA-EXTRA