Eine ausgesprochen eindrucksvolle Aufführung gab es am Samstag den 12. März 2022 am Staatstheater Cottbus, mit dem Kammerspiel: Frau Paula Trousseau - Ein Lebensportrait" nach Christoph Hein.
Die Regisseurin Ulrike Müller (2018 Lausitzer Stückeförderpreis für: "Ich bin in einem Land geboren, dass es nicht mehr gibt", 2016 RBB-Hörspielproduktion: "Lieber Nicolas Berggruen!", 2015 Hörspielpreis ARD, 2012 in Theater heute als beste Nachwuchskünstlerin nominiert) wagte sich an den 500-Seitenroman eines Autors, der selber Stücke schreibt und ihr als erstes sagte: "Hätte ich ein Stück schreiben wollen, hätte ich es getan!"
Wie ihre Protagonistin Paula, ließ sich Ulrike Müller aber nicht davon abbringen, dieses Wagnis umzusetzen, und nun liegt es als ein psychologisches Meisterwerk vor und kein geringerer als der Autor selbst war begeistert und voller Achtung vor ihrem Werk, wie er mir nach der Premiere versicherte.
Paula Trousseau ist eine Malerin, deren Scheitern als Kind, als Frau, als Mutter und in ihrem Beruf, Thema des Stückes ist. Ihr Ringen um einen selbstbestimmten Lebenslauf, jenseits von den für Frauen bestimmten Maximen, mit verstörenden Erinnerungen an eine Kindheit der Angst, wird von fünf Spielern und einem Kind nacherzählend gespielt. Die Inszenierung ist mit sehr viel Sensibilität angelegt, was ihr zustößt, was sie fühlt, wird chronologisch durch fünf Spieler wiedergegeben. Mal spielen sie es, in kleinen Szenen, mal verstärken sie nur Paulas Innenschau und Außenwirkung, geben ihren Gedanken, ihrer Verzweiflung zweifache, dreifache-, fünffach-gewichtige Stimme.
Wird die Hauptdarstellerin von Emotionen heimgesucht, wenn Beleidigungen auf sie herabfallen, wenn sie ihr Kind an ihren Mann verliert, so stürzen die fünf Spiel-Personen zu Boden, versuchen eine schräge Ebene hochzukriechen, stürzen wieder, rasen, stolpern, eine sehr eindrucksvolle choreografische Leistung. Diese fünf Spielenden sind wie die verschiedenen Ichs einer Multipersönlichkeit angelegt. So ist Sigrun Fischer mal die Mutter, mal die ältere Freundin Sybille, Gunnar Golkowski ist mal, wunderbar cholerisch, der Vater, dann Professor Waldschmidt, der zweite Lebenspartner von Paula, Markus Paul gibt einen gleichzeitig unsicheren und selbstverliebten Ehemann Hans und Schauspieler Jan, während in Lisa Schützenberger das selbstbewusste Haupt - Ich hervortritt, und die körperlich etwas kleinere Clara Sonntag ihr jugendliches Ich darstellt, sowie die Schulfreundin Kathi.
Die Personen treten in der ersten Hälfte des Stückes in distanziert-eleganten Kostümen mit pastellfarben abgetönten Farbchangierungen vor weißem Grund auf, während sie im zweiten Teil ausgezogen in kurzen Hemdchen auf einer schwarz grundierten Schräge agieren. Meist umstehen sie als ein Ich-stärkendes Team das Haupt-Ich, das, wie bei einer Multipersönlichkeit mal hervorkommt, mal in den Hintergrund tritt. Da sprechen sie ihre Sätze mit, stärken sie. Sie agieren aber auch gegen das Haupt-ich gerichtet, nehmen dort Vater -, Mutter - Imagos an, toben und demütigen wie der Ehemann Hans, der professorale Lebenspartner, der filmschauspielende Liebhaber, die Freundinnen. Alle sind sie in Paulas Persönlichkeit gefangen, kommen heraus, quälen sie und lieben sie manchmal oder geben das vor und Paula streitet mit ihnen, glaubt an sie, verliert ihren Glauben wieder und kämpft sich gegen alle durch. Ergebnis dieses biografischen Höllenritts ist eine abgebremste Malerkarriere, an die keiner ihrer Männer je glaubte, und die sich deshalb auch nicht so hatte entwickeln können, wie sie angelegt war. Dazu ein vom Ehemann abgejagtes und für immer verlorenes Kind, zahllose verlorene Liebhaber und Partner, noch ein zu Tode getroffenes Kind, Einsamkeit. Und über dem Flügel, mit dem sie sich einen vom Vater verbotenen Kinderwunsch erfüllte, hängt in ihrem Haus ein monochromes weißes Bild, auf der Bühne als weißer Vorhang sichtbar, auf dem die Figuren im ersten Teil oftmals pinseln und das am Ende heruntergerissen wird und einen bunten Schmetterling enthüllt. Oberflächlich gesehen eine Schneelandschaft, genauer hingesehen, mit winzigen Schatten als eine Waldlichtung mit zwei Bänken erkennbar. Dieses Bild markiert den Anfang eines von ihr heftig gewünschten Wegs ihrer Karriere, weg vom Realismus in die Abstraktion: Was steckt unter der Schneedecke, unter all der Tünche, der Farbe, der Verstellung, der Konventionen, der Lügen? Hier wollte sie weiterarbeiten, an dem Punkt wollte sie sich malend weiterentwickeln, aber die Abfälligkeit ihrer Mentoren verhinderte das. Sie verstieß die Beleidiger und Partner, aber sie nahm doch das Negativurteil über ihr Bild an. An dem Punkt wird das Stück auf einer Meta-Ebene auch zur DDR-Kritik, es geschah dort, wo die Abstraktion unerwünscht war. Mehr wird dazu nicht gesagt. Erst 20 Jahre später erkennt sie, welchen Weg sie hätte einschlagen können und sollen, was ihrem Innersten entsprochen hätte, was sie erregt hätte, Voraussetzung für jeden kreativen Akt. Da ist es für sie zu spät. Ihr Staat ist kaputt, auch er hatte Chancen gehabt, die er nicht genutzt hat. Sie gibt auf, wie auch er aufgegeben hat und viele Menschen mit ihm.
Ich bin normalerwiese keine Freundin einer Aufsplitterung der Hauptperson in mehrere, die dann die immer gleichen Sätze in Sprechchor in die Bühne hinab brüllen. Diese Idee der Regie ist mE seit Jahren maßlos überreizt worden. In diesem Fall ist sie sehr gelungen inszeniert, weil sie psychologisch angelegt wurde.
Anja Röhl
https://anjaroehl.de/