Don Giovanni

    Bewertung und Kritik zu

    DON GIOVANNI 
    von Wolfgang Amadeus Mozart
    Regie: Barrie Kosky 
    Premiere: 5. Dezember 2021 
    Wiener Staatsoper

    Zum Inhalt: Don Juan ist eine Figur der Grenzüberschreitung: der Grenze zwischen den Geschlechtern, der Grenze zwischen den Klassen und der Grenze von Leben und Tod, denn er macht auch vor Friedhofsmauern nicht Halt. 2065 Frauen soll er bereits geliebt haben, 1003 allein in Spanien, 640 in Italien, 231 in Deutschland und 100 in Frankreich. Aber nicht nur im christlichen Abendland hat er gewildert: 91 sind es in der Türkei (sein Diener führt hierüber genau Buch). In den europäischen Literaturen ist er seit der Gegenreformation unterwegs, als um 1620 ein spanischer Mönch seine Legende in der Comedia Der Spötter von Sevilla und der steinerne Gast festhält. Rasch dringt er in die Spielvorlagen der italienischen Commedia dell’arte ebenso ein wie in die klassische französische Komödie. In Prag verleihen ihm Mozart und da Ponte seine wirkungsmächtigste Gestalt: Dort wird 1787 ihre Oper Don Giovanni oder Der bestrafte Wüstling uraufgeführt. Die Gleichzeitigkeit von Elementen der Farce, der komischen und der tragischen Oper, von niederem und hohem Stil, Sinfonik und Sakralmusik führt in grenzüberschreitendes Neuland bis hin zur rhythmischen Kakophonie des 1. Akt-Finales, bei der drei Tanzkapellen gleichzeitig spielen, und zu Passagen, in denen die Chromatik bis in zwölftönige Strukturen getrieben ist.

    Zwischen all diesen Sprachen ist Giovanni unterwegs, er selbst hat keine eigene Musik, da er sich zur Projektionsfläche der Frauen macht, die er begehrt: der in strenger väterlicher Obhut erzogenen Donna Anna, die in ihm das Abenteuer sucht; der allen Bindungen entflohenen Donna Elvira, die sich emotionale Stabilität erhofft; des Unterschichtenmädchens Zerlina, das in seinen Armen vom sozialen Aufstieg träumt. Die labyrinthische Szenenfolge der Oper wird verklammert durch den Mord Giovannis an dem Vater der Donna Anna und der Wiederkehr des Toten als »steinerner Gast«. In der katholischen Comedia bettelte Giovanni, als er sein Ende nahen fühlte, vergebens darum, die Beichte ablegen zu dürfen. In der Oper ist es der steinerne Gast, der den Rebellen vor ewiger Verdammnis bewahren will, indem er ihn beschwört, doch noch zu bereuen – was dieser verweigert. So bleibt es trotz des Höllensturzes fraglich, wer in diesem Duell der Unterlegene ist, denn der intellektuelle Trotz Giovannis ist ungebrochen. Mit dieser Neuinszenierung startet die Wiener Staatsoper einen Mozart-Da Ponte-Zyklus unter der Leitung ihres Musikalischen Direktors Philippe Jordan und in der Regie von Barrie Kosky.

    Musikalische Leitung: Philippe Jordan
    Inszenierung: Barrie Kosky
    Bühne & Kostüme: Katrin Lea Tag
    Licht: Franck Evin


    WIR EMPFEHLEN

    5 von 5 Sterne
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    Übergriffigkeiten
    2 years ago
    Kritik
    ''Katrin Lea Tags entworf'nes Bühnenbild könnte am Fuße eines schon seit Ewigkeit erloschenen bzw. ruhenden Vulkans, auf deren abgekühlter Lava in der Handlungsmitte jede Menge Grünpflanzen gedeihen, die gleichsam als Elfengarten aus Shakespeares Ein Sommernachtstraum dienen, angedacht gewesen sein. Geraume Möglichkeiten also, um den sexuellen Trieben - nicht bloß des völlig zu Unrecht wegen seiner sexuellen Zügellosigkeit verfolgten Giovanni - ausgiebig zu frönen, was dann auch gottlob in aller Zügellosigkeit geschieht; ja und der Titelheld treibt es dann derart zügellos, dass er urplötzliche Verkrampfungen im Brustbereich verspürt, was auf 'nen Herzinfarkt hindeuten sollte. Sowieso: Kyle Ketelsen (als Don Giovanni) ist nicht nur dann eine Augenweide, nein, er spielt und singt den Sexomanen derart feurig also überzeugend, dass den Zuschauenden/ Zuhörenden fast schon schwindlig wird. Genialer Superman! Kosky lässt auch die drei "zentralen" Frauen in dem schönen Sex-Stück von Mozart-Da Ponte voll auf ihre (sexuellen) Kosten kommen, und obgleich vielleicht die eine von dem Trio etwas weniger von dem Globalbefriediger Giovanni hatte als die andern beiden Konkurrentinnen: Kate Lindsey (als Elvira) und Patricia Nolz (Zerlina) gehen da aufs Volle, während Hanna-Elisabeth Müller (als Anna) die ein bisschen Biederere aus sich rauszukehren meint. Herausragend auch Stanislas de Barbeyrac (als Don Ottavio) oder Peter Kellner (als Masetto). Und nicht zu vergessen der phänomenale Leporello des Philippe Sly! Jordan pflegt ein ziemlich rasches Tempo und will eine unbreiige Ausführung; das alles wird mit großem Einverständnis und gewollter Musizierlust vom Orchester der Wiener Staatsoper erwidert. Schöne Produktion - mit schönen Menschen und noch schöneren Momenten!!!'' schreibt Andre Sokolowski am 5. Dezember 2021 auf KULTURA-EXTRA
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    1 von 1 Person(en) gefiel diese Kritik
    Der gescheiterte Libertin
    2 years ago
    Kritik
    Mozarts Bühnenwerk nach einem Libretto von Lorenzo da Ponte, uraufgeführt 1787 im Prager Nationaltheater, ist vielleicht neben der "Zauberflöte" die berühmteste Oper des Komponisten und hat das Genre nachhaltig geprägt. Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, schüttet mit dieser Neuinszenierung das Füllhorn seines häufig überraschenden szenischen Einfallsreichtums auf die Bühne der Wiener Staatsoper aus. Da die Premiere infolge der Pandemie-Schutzmaßnahmen ohne Saalpublikum stattfinden muss, wird sie per Livestream übertragen. Die Handlung der Oper entspinnt sich zwischen zwei Katastrophen: der Ermordung des Komturs in einem Duell mit dem unerkannten Don Giovanni zu Beginn und dem Höllensturz des Don Giovanni als Akt ausgleichender Gerechtigkeit am Schluss. Zwischendurch ereignen sich in lockerer Folge nach Art der Commedia dell' Arte verschiedene Übergriffe des ewigen Verführers Don Giovanni, die am Ende sein Schicksal besiegeln. Der erste Sänger. der nach der Ouvertüre die Szene betritt, ist der mit seinem Dienst unzufriedene Leporello (Philippe Sly), gefolgt von Donna Anna(Hanna-Elisabeth Müller) und Don Giovanni (Kyle Ketelsen).  Er und der hinzugekommene Komtur (Ain Anger) prügeln sich, Don Giovanni verletzt ihn tödlich. Don Ottavio (Stanislas de Barbeyrac) versucht Anna über den Tod des Vaters zu trösten. Der tödlich Verletzte verlässt unterdessen wie geistesabwesend die Szene. Don Giovanni spürt Frauenduft, und richtig: Donna Elvira tritt auf (Kate Lindsay), schon früher von Don Giovanni enttäuscht. Jetzt ist sie selig, in seinen Armen schmollen zu dürfen. Und wieder ist sie die Betrogene. Leporello singt seine Registerarie, jung und blond. Elvira staunt über dieses Referat. Das Bühnenbild ist eine dunkle ansteigende Landschaft aus Vulkanasche, von der die Akteure gelegentlich Basaltbrocken aufnehmen, um damit zu jonglieren. Zerlina (Patricia Nolz) und Masetto (Peter Kellner) stürmen in Begleitung von Jungen und Mädchen aus der Dorfgemeinschaft herein. Leporello beweist Gelenkigkeit, Don Giovanni macht sich an Zerlina heran. Zähneknischend ergibt sich Masetto in sein Schicksal und gibt dem Herrn Giovanni den Weg frei. Zerlina mit Don Giovanni allein. Er macht Komplimente, sie ziert sich. Die Singstimmen sind nicht lippensynchron. Von ferne beäugt Elvira Don Giovannis Liebeswerben, kommt näher und beschimpft den Verführer. Donna Anna und Don Ottavio treten hinzu. Vor dem Grau des Hintergrunds stehen die Kostüme farblich gut differenziert (Katrin Lea Tag). Ein Vorhang senkt sich hinter Anna und Ottavio herab. Zeit für einen klärenden Dialog: Don Giovannis Schandtaten an Donna Anna werden referiert. Sie fordert Rache. Dann Don Ottavios grosse Tenorarie, von tiefer Liebe zu Anna erfüllt. Der Vorhang hebt sich wieder und gibt den Blick auf eine gewandelte, begrünte Szene frei. Der weiterhin höchst gelenkige Leporello hat jetzt die Kostümfarbe von Don Giovanni, der seinerseits  einen goldenen Mantel trägt, bei dem  die muskulöse Brust frei bleibt. Zerlina und Masetto, zunächst versucht sie seine Eifersucht zu besänftigen. Schliesslich siegt sie im Versöhnungsdialog. Aber Masetto schwört Rache. Don Giovanni beschwört eine quirlige Festszene herauf, die sich nach hinten entfernt. Auf einmal ist Don Giovanni wieder mit Zerlina allein. Liebesspiel zwischen Grünpflanzen. Masetto liegt am Boden. Anna, Ottavio und Elvira verkleidet bei Giovannis Maskenfest. Sehr hübsches Terzett durch den Einklang von  Stimmen, Kostümen und Lichtregie (Franck Evin). Kaffee und Schokolade werden gereicht. Ständig quirliges Leben auf der Bühne. Leporello lockt die maskierten Rachedürstigen. "Viva la liberta". Die Szenen mit den wechselnden Tanzpaaren sind bestens gelungen. Dann platzt die Bombe: Zerlina ruft um Hilfe. Don Giovanni beschuldigt Leporello. Die Auflösung musikalisch hochklassig. Zweiter Akt. Leporello will Giovanni verlassen. Vier Dublonen stimmen ihn um. Von den Frauen kann Giovanni nicht lassen. Elvira und Don Giovanni beim Versteckspiel, mit vertauschten Rollen zwischen Giovanni und Leporello. Es folgt die Arie Don Giovannis mit Mandoline, die er allerdings nicht hat. Masetto mit Zerlina: Und Giovanni behauptet, Leporello zu sein. Masetto böse verprügelt am Boden. Zerlina will ihn heilen, wenn er nicht mehr eifersüchtig ist. Donna Elvira meint immer noch, einen reumütigen Don Giovanni im Arm zu haben, der in Wahrheit Leporello ist. Die Täuschung fliegt auf: Leporello ist wieder er selbst und erfleht die Gnade der Geprellten. Don Ottavios zweite große Arie. Dann ein grosser dramatischer Ausbruch von Elvira. Die Asynchronität zwischen Stimme und mimischem Ausdruck hat sich leider verstärkt. Aus heiterem Himmel unterbricht die Stimme des Komturs die Prahlereien Don Giovannis und seines Dieners. Ein Gesteinsbrocken aus einem Wassertümpel verkörpert den Komtur im Gespräch, und so wird er zum Abendessen ein- geladen. Noch einmal Donna Anna und  Don Ottavio als stummer Zuhörer. Dann ein ganzes Unterhaltungsorchester in leuchtend rotem Samt und Don Giovanni als Maître de Plaisir. Elvira taucht auf und hat immer noch Mitleid. Blutbefleckt kommt aus dem Hintergrund der Komtur näher. Don Giovanni reicht ihm die Hand. Er bereut aber nichts. Eine Dreiergruppe am Boden. Leporello berichtet den beiden Paaren und Elvira, was geschehen ist. Don Ottavio und Donna Anna haben ein Schlusswort.Dann Zerlina und Masetto. Ein "uraltes Lied": So gehts dem, der Böses tut. Und Don Giovanni nimmt seine Jacke und verläßt nachdenklichen Schrittes die Szene. Ein etwas schütterer Schlußbeifall vom Orchester, den Umständen geschuldet. Insgesamt eine sehr lebendige Inszenierung von Barrie Kosky mit wirklich schönen Stimmen, hervorzuheben vielleicht die beiden Donnas, Anna und Elvira, ebenso Zerlina, und bei den Herren natürlich Don Giovanni, der überaus wendige und schön klingende Leporello und der klangvolle Tenor von Don Ottavio. Philippe Jordan leitete das Wiener Staatsopernorchester mit Feingefühl und dem omnipräsenten Drive für einen Mozart-Klang mit großer Lebendigkeit.

    Horst Rödiger

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    5 von 13 Person(en) gefiel diese Kritik

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