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6. Predigt - Kaudel hat einem Bekannten den Familienschirm geborgt.
Madame Kaudel und Monsieur Kaudel
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MADAME KAUDEL: Das ist nun der dritte Regenschirm seit Weihnachten.
Was Du thun solltest? ihn ohne Schirm nach Hause gehen lassen, das versteht sich doch von selbst. Ich möchte nur wissen, was an dem verderben könnte, wenn er naß würde.
Konnte sich einen Katarrh holen? Gott, was Du nicht weißt, der sieht auch gerade wie Einer aus der sich einen Katarrh holte; und immer noch lieber einen Katarrh als unsern einzigen Regenschirm, er würde nicht gleich d'ran gestorben sein. Hörst Du den Regen, Kaudel; hörst Du, wie's draußen an die Fenster schlägt, und – so wahr wie ich lebe, wir haben heute »Siebenschläfer,« sechs ganze Wochen jetzt so, ohne Unterlaß – hörst Du das, Kaudel? O mach' mir nichts weiß, wo könntest Du denn schlafen, wenn's mit solcher Gewalt gegen die Scheiben anwettert. Hörst Du das, Kaudel – hörst Du das?
Oh – Du hörst es? nun das ist ein prächtiger Schauer, um sechs lange Wochen anzuhalten und die ganze Zeit nicht aus dem Hause zu kommen.
Nenn' mich nicht albern, Kaudel; beleidige mich nicht auch noch obendrein. Und der soll den Regenschirm wiederbringen? man müßte wahrhaftig glauben, Du wärest gestern geboren, Kaudel. Als ob jemals Einer einen geborgten Regenschirm zurückbrächte. Hör' nur, wie das stürmt – immer ärger, wie mit Eimern, und das sechs ganze Wochen lang – ohne einen Regenschirm im Hause.
Ich möchte nur wissen, wie die Kinder morgen in die Schule kommen sollen; in der Nässe dürfen sie mir nicht gehen, das weiß ich. Nein, sie sollen zu Hause bleiben und nie wieder 'was lernen, die armen, unglücklichen Geschöpfe – lieber das, als so naß werden. Wenn sie nachher heranwachsen und groß werden, dann soll's mich nur wundern, wem sie es zu verdanken haben, daß sie Nichts wissen; wem sonst, als ihrem eigenen Vater. – Leute, die nicht einmal ein Herz für ihre eigenen Kinder haben, sollten auch nie Väter werden. Ich weiß aber wohl, weshalb Du den Regenschirm ausgeborgt hast – o ja – ich weiß es sehr gut; ich wollte morgen zu meiner guten Mutter gehen und dort eine Tasse Thee trinken – das hast Du wohl gewußt; gerade deshalb hast Du's aber gethan. Schweig' nur, ich weiß, daß Du's nicht leiden magst, wenn ich meine Mutter besuche, und daß Du es auf jede schändliche, nichtswürdige Art zu hintertreiben suchst. Du sollst Dich aber diesmal verrechnet haben, Kaudel – nein – und wenn es Kieselsteine regnete – ich gehe.
Nein, ich will keine Droschke; ich möchte nur wissen, wo auch noch das Geld zu Droschken herkommen sollte; schöne hochtrabende Ideen habt Ihr da in Euerm Klub. Droschke – weiter fehlte gar nichts mehr – Droschke – vier Groschen hin und vier zurück – acht Groschen für Droschken; ich möchte wissen, wer das bezahlen sollte? ich kann es nicht, das weiß ich, und wenn Du so fortfährst, so wird's bei Dir auch nicht mehr lange dauern. Das heißt das Geld zum Fenster hinausgeworfen, Droschken bezahlen, und die Kinder zu Bettlern mit lauter Regenschirmen machen.
Hörst Du den Regen, Kaudel? hörst Du den Regen? mir ist's aber einerlei, das weiß ich; zur Mutter geh' ich morgen, und das zu Fuß – jeden Schritt breit und Du weißt recht gut, daß mir die Nässe den Tod auf den Hals ziehen wird.
Nein, ich bin keine Närrin, Kaudel; wenn hier ein Narr ist, so bist Du's. Du weißt recht gut, daß ich keinen Mantel tragen kann, und ohne Regenschirm muß ich mich in dem Wetter erkälten, das ist gewiß. Was machst Du Dir aber daraus? gar Nichts – ich kann krank werden und mich zu Bette legen, das ist Dir einerlei; so wird's aber auch werden, und eine schöne Doktorrechnung sollst Du zu bezahlen bekommen, darauf verlaß Dich. Ich will Dich lehren, den Regenschirm auszuborgen. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn ich mir morgen den Tod holte, deswegen hast Du den Regenschirm aber nur weggeborgt – o ich weiß wohl.
Meine Kleider werden morgen Abend auch gut aussehen, wenn ich durch solch' ein Wetter damit gegangen bin; mein neuer Hut wird auf jeden Fall verdorben.
Ich brauche ihn nicht aufzusetzen? Ja, Kaudel – ich werde ihn aufsetzen, und nun gerade. Nein, wahrhaftig, ich gehe nicht wie eine Schlumpe über die Straße; keinem Menschen zu Gefallen. Der liebe Gott weiß es wie selten ich einmal über die Schwelle komme, ich könnte lieber gleich ein Sclave sein, vielleicht noch eher – aber nein, wenn ich einmal ausgehe, dann will ich auch anständig aussehen. Oh der Regen – es sollte mich gar nicht wundern, wenn er die Fenster zerschlüge. Es schüttelt mich ordentlich, wenn ich an morgen früh denke; wie ich zur Mutter hinkommen soll, ist mir selber noch unbegreiflich, aber gehen muß ich, und wenn ich stürbe.
Nein Kaudel, ich borge mir keinen Regenschirm; ich will nicht, daß mir andere Leute nachsagen, ich wäre so liederlich und liefe in der Stadt herum und borgte Regenschirme.
Du willst einen neuen kaufen? Kaudel – sieh – (sich nach ihm herumwendend und mit starker Betonung) wenn Du mir einen andern Regenschirm in's Haus bringst, so werf' ich ihn aus dem Fenster, so wahr ich Margarethe heiße. Ich will meinen eigenen Schirm haben oder gar keinen.
Erst vorige Woche hab' ich eine neue Spitze daran machen lassen; wenn ich damals nur gewußt hätte was ich jetzt weiß – der hätte meinetwegen keine Spitze und keinen Griff haben können. Da muß man nun Spitzen kaufen, daß Einen andere Leute noch deßwegen auslachen. O ja, Du kannst schlafen, Dir ist Alles gleichgültig; Du denkst weder an Dein armes, geduldiges Weib, noch an Deine unschuldigen Kinder. – Du hast für weiter Nichts Sinn, als Regenschirme auszuborgen. – Männer – o ja – nennen sich Herren der Schöpfung – schöne Herren, können nicht einmal auf einen Regenschirm Acht geben.