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4. Akt
Mrs. Arbuthnot, Gerald und Hester.
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MRS. ARBUTHNOT: Die Männer verstehen das Wesen der Mütter nicht. Ich bin nicht anders als andere Frauen, außer darin, daß mir unrecht geschah und daß ich unrecht tat, und in meiner schweren Strafe und großen Schande. Und doch mußte ich, um dich zu gebären, den Tod anschauen. Um dich zu säugen, mußte ich mit ihm ringen. Um dich kämpfte der Tod mit mir. Alle Frauen müssen mit dem Tode kämpfen, um ihre Kinder zu erhalten. Der Tod ist kinderlos, und deshalb will er unsere Kinder von uns. Gerald, als du nackt warst, kleidete ich dich, und als du hungrig warst, gab ich dir zu essen. Tag und Nacht jenen langen Winter hindurch pflegte ich dich. Kein Dienst ist zu niedrig, keine Sorge zu gering für das Wesen, das wir Frauen lieben – und oh! wie ich dich liebte! Nicht Hanna liebte Samuel mehr. Und du brauchtest Liebe, denn du warst schwächlich, und nur die Liebe konnte dich am Leben erhalten. Nur die Liebe kann irgendeinen am Leben erhalten. Und Knaben sind oft gedankenlos, und ohne daß sie es wollen, machen sie Schmerz, und wir meinen immer, wenn sie erwachsen sind und uns besser kennen, dann werden sie uns lohnen. Aber es ist nicht so. Die Welt reißt sie von uns, und sie schließen Freundschaft mit denen, bei denen sie glücklicher sind als bei uns, und sie haben Vergnügungen, von denen wir ausgeschlossen sind, und Interessen, die nicht die unseren sind: und oft sind sie ungerecht gegen uns, denn wenn sie das Leben bitter finden, so schelten sie uns, und wenn sie es süß finden, so kosten wir seine Süße nicht mit ihnen ... Du gewannst dir viele Freunde und gingst in ihre Häuser und warst froh mit ihnen, und ich, die ich mein Geheimnis kannte, wagte nicht zu folgen, sondern blieb zu Hause und schloß die Tür, schloß die Sonne aus und saß im Dunkeln. Was hatte ich in ehrbaren Häusern zu suchen? Meine Vergangenheit war immer bei mir ... Und du glaubtest, ich mache mir nichts aus den heiteren Dingen des Lebens. Ich sage dir, ich sehnte mich nach ihnen, aber ich wagte sie nicht zu berühren, denn ich fühlte, ich hatte kein Recht auf sie. Du glaubtest, ich sei glücklicher, wenn ich unter den Armen wirkte. Das sei meine Mission, dachtest du dir. Das war es nicht, aber wohin sollte ich sonst gehen? Die Kranken fragen nicht, ob die Hand, die ihnen das Kissen glatt streicht, rein ist, und die Sterbenden machen sich nichts daraus, ob die Lippen, die ihre Stirn berühren, den Kuß der Sünde kannten. An dich dachte ich immerfort; ich gab ihnen die Liebe, die du nicht brauchtest: verschwendete eine Liebe auf sie, die ihnen nicht gehörte ... Und du glaubtest, ich verbrächte zu viel Zeit mit Kirchenbesuch und mit Kirchenpflichten. Aber wohin sonst sollte ich mich wenden? Gottes Haus ist das einzige Haus, in dem man die Sünder willkommen heißt, und immer warst du in meinem Herzen, Gerald, viel zu viel in meinem Herzen. Denn obgleich ich Tag für Tag am Morgen und am Abend in Gottes Hause kniete, habe ich meine Sünde nie bereut. Wie konnte ich meine Sünde bereuen, da doch du, mein Geliebter, ihre Frucht warst? Noch jetzt, da du bitter gegen mich bist, kann ich nicht bereuen. Ich tue es nicht. Du bist mir mehr als die Unschuld. Ich will lieber deine Mutter sein – oh, viel lieber – als immer rein gewesen sein ... Oh, verstehst du das nicht? Siehst du denn das nicht ein? Meine Unehre hat dich mir so teuer gemacht. Meine Schande hat dich so eng an mich gebunden. Der Preis, den ich für dich zahlte, der Preis an Seele und Leib, gibt mir die Liebe zu dir ein, die ich empfinde. Oh, bitte mich nicht, dieses Furchtbare zu tun. Kind meiner Schande, bleibe das Kind meiner Schande.





