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Eines langen Tages Reise in die Nacht - In­stru­men­tal­ver­si­on

Bewertung und Kritik zu

EINES LANGEN TAGES REISE IN DIE NACHT - IN­STRU­MEN­TAL­VER­SI­ON 
frei nach Eugene O’Neill
Regie: Rieke Süßkow 
Premiere: 13. Oktober 2024 
Staatstheater Nürnberg 

Zum Inhalt: Nachts wandert Mary schlaflos durch die Gänge. Morphium in ihren Adern, füllt der Nebel der Vergangenheit ihren Kopf. Auf den ersten Blick ist ihre Familie glücklich. Ihr jüngster Sohn Edmund hat auch wirklich nur eine Grippe. Aber langsam tritt zu Tage, was unter der Oberfläche liegt. Eugene O’Neill zeichnet in seinem Stück über Verdrängung und Bewältigung von Tragödien in einer Familie beeindruckend vielschichtige Figuren. Figuren, die verzweifelt miteinander und mit sich selber ringen. Die einander leidenschaftlich lieben und gleichzeitig zutiefst verabscheuen. Dabei sprechen sie alle unheimlich viel - aber reden nie wirklich miteinander. Die entscheidenden Dinge bleiben unausgesprochen oder ungehört. Und dadurch unverarbeitet.

Das Team rund um Regisseurin Rieke Süßkow erzählt das Stück aus der Perspektive der Mutter. Die Inszenierung findet Bilder dafür, wie Mary, die an Depressionen leidet, die Welt wahrnimmt. Vor allem das Scheitern der Kommunikation, die Unmöglichkeit, sich verständlich zu machen und wirklich miteinander zu reden, nimmt das Team zum Anlass für ein besonderes Formexperiment: Sie zeigen das Stück in einer Instrumentalversion. Wo gesprochen wird, erklingt in Marys Ohren nicht Sprache, sondern Musik. Jeder Figur ist ein Instrument zugeordnet, das spielt, wo die Figuren sprechen müssten. Wie Mary können wir nur vermuten, nur fühlen was gesagt wird. Der Text gibt nicht mehr genau vor, was eine Figur denkt und sagt, und so öffnet sich uns die Inszenierung für eigene Entdeckungen und Erinnerungen.

Regie: Rieke Süßkow
Komposition, Musikalische Leitung: Philipp C. Mayer
Bühne: Mirjam Stängl
Kostüme: Sabrina Bosshard
Dramaturgie: Fabian Schmidtlein
Künstlerische Produktionsleitung: Greta Călinescu
Licht: Paul Grilj

1 Kritik

2.0 von 5 Sterne
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Konsequenter Verzicht auf jedes Wort
2 Monate her.
Kritik

Stilprinzip diesr „Instrumentalversion“ des realistischen Sozialdramas ist, dass Rieke Süßkow und ihr Team komplett auf jedes Wort verzichten. Der Plot wurde auf Motive und Stimmungen eingedampft, die über die Musik transportiert werden. Jeder Figur aus der Familie Tyrone wurde ein Instrument zugeordnet, das ihren Charakter und ihren Seelenzustand spiegeln soll, je ein Schauspieler aus dem Ensemble des Staatstheaters Nürnberg und ein Musiker der dortigen Hochschule für Musik  teilen sich die Rolle. Außer dem bereits erwähnten Duo, das Mutter Mary Tyrone spielt, sind folgende drei Tandems zu erleben: Stefan Schäfer und das Violoncello von Lucas Jansen verkörpern den Vater James Tyrone. Joshua Kliefert und die Klarinette von Nina Janßen-Deinzer spielen den dahinsiechenden Sohn Edmund Tyrone. Justus Pfankuch und die aufbrausende Posaune von Lukas Immanuel Krauß sind als dessen Bruder James Tyrone zu erleben.

Die Morphiumspritzen, die sich Mutter Mary setzt, und das Grab des verstorbenen dritten Bruders gehören zu den wenigen konkreten Anhaltspunkten für das Publikum. Ansonsten ist der 75 Minuten kurze Abend eine sehr freie, assoziative Auseinandersetzung. Genau das war auch von Sebastian Hartmann zu erwarten, der sich nur knapp zwei Monate nach Süßkow am Staatsschauspiel Dresden ebenfalls das O´Neill-Stück vornahm, aber in der ersten Hälfte seiner Inszenierung mit ungewohnt realistischen Szenen und klar erkennbaren Figuren arbeitete.

Doch Süßkow treibt dem O´Neill konsequent jeden Realismus aus und beschränkt sich auf Spurenelemente der Vorlage, die nur für Kenner des Originals lesbar sind. Nach zwei Theatertreffen-Einladungen in Folge mit „Zwiegespräch“ (Akademietheater Wien, 2023) und „Übergewicht, unwichtig: Unform“ (Staatstheater Nürnberg, 2024) stand auch ihre O´Neill-Instrumentalversion auf der Shortlist des Theatertreffens 2025, schaffte es jedoch nicht in die 10er Auswahl.

Ihrer Handschrift blieb Süßkow treu, die neue Arbeit wirkt noch radikaler. Unter Verzicht auf jegliche Sprache stehen Assoziation und Emotion im Mittelpunkt. Glücklicherweise ist die neue Arbeit nicht mehr so comichaft überzeichnet wie ihre Schwab-Inszenierung im vergangenen Jahr. Laut Programmheft zeichnete sich eine solche Tendenz im langen Probenprozess auch für O´Neill ab, wurde jedoch vermieden.

Im aktuellen Theaterjahrgang ist Süßkows „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ eine der Inszenierungen, die sich am konsequentesten gegen den Mainstream stellen, was für ein mittelgroßes Haus wie das Staatstheater Nürnberg einiges an Risikofreude erfordert. Der kurze Abend landet dabei aber in einer Nische in den Grenzbereichen des Sprechtheaters, wohin ihm auch die Jury-Mehrheit nicht mehr folgen wollte.

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