MACHT. KRIEG. FRIEDEN(?) nach William Shakespeares „Heinrich V.“ mit Texten von Niccolò Machiavelli & Hannah Arendt
Regie: Natalia Lapina Premiere: 20. Juni 2024 Globe Berlin
Zum Inhalt: Was bewegt einen Herrscher, Menschen zum Hass, Soldaten in die Schlacht und ein Volk zum Kampf zu zwingen? Liegt es in unserer Macht, einen Krieg zu beenden und Frieden zu bewirken? Mit welchen Mitteln der Manipulation, Rhetorik und Demagogie wird ein Krieg zum Werkzeug der Politik – und welchen Preis zahlt die Zivilbevölkerung in jedem Fall, unabhängig davon, zu welcher Seite sie sich zugehörig fühlt?
Macht.Krieg.Frieden(?) entsteht als Kooperation des Globe Ensemble Berlin mit dem Urban Theater, einem osteuropäischen Ensemble, dessen aus der Ukraine oder Russland stammende Mitglieder Flucht und Vertreibung erleben mussten. Shakespeares „Heinrich V.“ schildert auf dramatische Weise, wie der innenpolitisch unter Druck stehende Protagonist seine Berater, die Armee und letztlich ein ganzes Volk dazu bringt, an einem Krieg mitzuwirken. Shakespeares Kunstgriff, die dramatischen Ereignisse und Kriegshandlungen, die vor den Augen des Publikums in Echtzeit passieren, mit Zäsuren durch den Chorus zu gliedern, ermöglicht die Integration der Textfragmente von Niccolò Machiavelli und Hannah Arendt.
Mit Henning Bormann, Tim Otto Göbel, Ilya Khodyrev, Oleksandr Kryvosheiev, Olha Kryvosheieva, Anselm Lipgens, Illia Rudakov, Michael Schröder, Saskia von Winterfeld, N.N. | Regie: Natalia Lapina | Musik: Bernd Medek | Ausstattung: Arina Slobodianik | Dramaturgie: Dr. Natalia Skorokhod | Produktionsleitung: Dr. Witalij Schmidt | Übersetzung: Wiebke Acton, Yvonne Jäckel & Christian Leonard | Künstlerische Leitung: Christian Leonard
Spannendes Gerichtsdrama über Krieg oder Menschlichkeit
3 Monate her.
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Kritik
''Den Angriff Heinrichs auf Frankreich bewerten Anklägerin Arendt und Verteidiger Machiavelli erwartungsgemäß ganz unterschiedlich. Die Texte dürften aus Zitaten ihrer Werke stammen. Für Machiavelli ist der Krieg gerecht, wenn der Fürst einen guten Grund dafür hat. Für Arendt steht hinter Gewalt und Krieg nie das Leben, sondern der Wille zur Macht. Beides dürfte damals wie heute gelten. Die Form von Diplomatie als Drohung, die Heinrich verfolgt, erzwingt geradezu den Krieg, der für Arendt Politik unmöglich macht. Für Machiavelli ist die Verachtung des Krieges Ursache für den Verlust der Herrschaft. Auch wenn sich die beiden hier so eloquent die Bälle zuspielen, ist natürlich klar, wo die Sympathien im Publikum liegen werden. Das schwächt die Position des Heinrich-Verstehers Machiavelli keineswegs. Die Ansichten vieler heutiger Politiker sind machiavellistisch.
Derweil geht das Stück weiter über die Belagerung von Harfleur, wo Heinrich seinen ersten großen Monolog (noch einmal in die Bresche, Freunde) hat, bis zur Nacht vor der Schlacht von Azincourt, in der sich Heinrich unerkannt unter seine Leute mischt und sich mit den Soldaten Bates (Illia Rudakov) und Pistel (Oleksandr Kryvosheiev) über den Gehorsam zum Herrscher und mögliche befohlene Verbrechen diskutiert. Eine auch heute immer noch oft rezipierte Rede Heinrichs ist die sogenannte St.-Crispins-Tag-Rede vor der Schlacht, die die Reihen schließen soll und den Sieg als gottgewollt vorwegnimmt. Ein Disput über Gehorsam und freie Zustimmung zur Macht folgt.
Nach der Pause tritt das Ensemble kurz aus seinen Rollen. Die aus Russland und der Ukraine stammenden SchauspielerInnen sprechen über ihre Erfahrungen mit Krieg, Flucht und Verlust der Heimat, währen die deutschen SchauspielerInnen von der Verstrickung und Schuld ihrer Großväter im Zweiten Weltkrieg berichten. Die Schlacht von Azincourt bricht dann mit düsteren E-Gitarren-Sound herein. Pistel und ein französischer Offizier (Illia Rudakov) treffen sich hier Lost in Translationen. Der Befehl Heinrichs, alle französischen Gefangenen zu töten, ist auch wieder Auslöser einer Diskussion zwischen Anklage und Verteidigung. Am Ende schreibt der Sieger die Geschichte und die Todeszahlen. Von den Seiten verliest das Ensemble dazu Namen von Toten aller Kriege. Und auch die Heirat von Heinrich und Catherine markiert hier nicht das gewünschte Happy End. Ob moralischer Ruin oder naiver Humanismus, der Wunsch, dass alle Kriege enden mögen, bleibt noch unerfüllt.'' schreibt Stefan Bock am 23. Juni 2025 auf KULTURA-EXTRA