Zum Inhalt: Thomas Brasch ist Dichter, Dramatiker, Filmemacher, Übersetzer – und auf all diesen Feldern ein Unruheherd, von Anfang an. Geboren kurz vor Kriegsende als Kind einer jüdisch-kommunistischen Emigrantenfamilie in England, wächst Brasch in der jungen DDR auf. Während sein Vater stellvertretender Kulturminister wird, zerstört Thomas die ihm vorbestimmte Bilderbuchkarriere frühzeitig durch ästhetischen Eigensinn. Brasch benennt als junger Lyriker in der Tradition Bertolt Brechts und Heiner Müllers die Lebensansprüche einer in der DDR aufgewachsenen, jungen Generation so schonungslos, dass für ihn schon nach den ersten Veröffentlichungen kein Platz mehr bleibt. Als er Ende 1976 von Ost- nach West-Berlin ausreist, eckt er auch dort an, weil er sich nicht zum Dissidenten machen lässt, nicht von Ost und nicht von West. „Ich stehe für niemand anders als für mich”, ist sein erstes Spiegel-Interview überschrieben. Ein paar Tage später erscheint im Rotbuch Verlag sein Prosaband Vor den Vätern sterben die Söhne. Der Titel wird zum Sprichwort und das Buch, das in der DDR nicht erscheinen darf, ein Bestseller. Trotz dieses Erfolgs bleibt Brasch ein Unbehauster. Aus einer rauschhaften Produktivität stürzt Brasch Mitte der 80er Jahre in eine Schreibkrise, die er durch einen ruinösen Umgang mit seiner Gesundheit weiter vertieft.
2001 stirbt er im Alter von 56 Jahren, von zu viel Koks und Alkohol, von Krebs und einem Herzleiden gezeichnet. Er sei „nicht Narr, nicht Clown, nicht Trottel, nicht Idiot”, schreibt Brasch in der Vorrede zu seiner Shakespeare-Überschreibung Liebe Macht Tod. Stattdessen könne man ihn „The Fool” nennen – unübersetzt. Als solcher steht er zwischen den Zeiten, zwischen Ost und West. Sein Leben ein wüstes Stück, sein Schreiben voll anarchischem Witz: ideologiefern und unversöhnlich bis zuletzt.
Im Februar 2025 wäre Thomas Brasch 80 Jahre alt geworden. Tom Kühnel und Jürgen Kuttner, die das Profil des Deutschen Theaters seit über einem Jahrzehnt mit Arbeiten zu Brecht, Müller und vielen anderen deutsch-deutschen Berlin-Stoffen prägen, machen sich an die Wiederentdeckung und begeben sich auf die Spuren eines Autors, an dessen Schreiben und Leben ein halbes Jahrhundert Zeit- und Stadtgeschichte ablesbar wird. Ein Abend mit Worten und Liedern von und über Thomas Brasch.
''Nach der Pause geht es um den Generationenkonflikt, den Brasch vor allem mit seinem Vater auszutragen hatte. Fliegen im Gesicht, gespielt von Benjamin Lillie und Jörg Pose, erzählt von der Begegnung eines jungen DDR-Bürgers vor der Flucht mit einem Veteran der Arbeiterbewegung. Auch ein Brief des Vaters an den Sohn in der Kadettenanstalt und dessen spätere Versuche bereits im Westen darauf zu antworten haben Kuttner & Kühnel in großer Recherchearbeit aus den Archiven gefischt. Braschs Gedichte, an der Rampe vorgetragen, verfehlen ihre Wirkung nicht. Peter René Lüdicke als Gammler und Jörg Pose als übergroßem Geist der DDR mit Engelsflügeln haben noch einen großen Auftritt in einem Text aus dem Stück Herr Geiler. Schön, das alles mal wieder gehört zu haben, allzu oft werden Stücke von Brasch (außer vielleicht Mercedes) nicht gespielt. Texte aus Vor den Vätern sterben die Söhne haben es zumindest in Dessau, Dresden und Stuttgart mal auf die Bühne geschafft.
Kuttner lässt zum Ende hin noch recht pathetisch Der Findling aus Heiner Müllers Zyklus Wolokolamsker Chaussee spielen. Als Vorlage dienten Müller neben Kleist auch der Zwist zwischen Brasch und seinem Vater. Etwas zu viel für einen Abend vielleicht. Da schaut man im Saal schon mal auf die Uhr. "VERGESSEN UND VERGESSEN UND VERGESSEN", dröhnt Anja Schneider Müllers Text immer wieder ins Premierenpublikum. Man hat es verstanden.'' schreibt Stefan Bock am 25. November 2024 auf KULTURA-EXTRA
Vor allem in der ersten Hälfte wirkt „Halts Maul, Kassandra!“ noch wie eine unfertige Materialsammlung aus dem Zettelkasten. Typische Kuttner/Kühnel-Stilmittel wie LipSync zu Videos/Filmausschnitten stehen neben Lyrik aus Braschs Werk und Songs von Rio Reiser oder DDR-Bands. Ohne Kontext taucht ein Schnipsel nach dem nächsten auf und ragt wie ein Fremdkörper aus einer längst untergegangenen Zeit herüber. Aus welchem Prosatext, Film oder Gedicht der jeweilige Schnipsel stammt, wird zwar meist brav als Übertitel eingeblendet, macht die Sache aber für das Publikum nicht wesentlich anschlussfähiger und recht zäh.
Als „Mischung aus Geschichts-Séance und schriller Brasch-Revue“ lobte Esther Slevogt den Abend in ihrer begeisterten Nachtkritik. Für eine Revue ist das Treiben des Sextetts, das oft in Harlekin-Kostümen auftritt, nicht munter und rauschhaft genug, sondern ein zu holpriges Abhaken aneinandergeklebter Schnipsel. Für eine Séance fehlt die atmosphärische Dichte. Am ehesten gelingt dies am Ende von „Halts Maul, Kassandra!“, als die Texte deutlicher aufeinander Bezug nehmen und sich auf das schwierige Verhältnis des Dissidenten-Sohns Thomas zu seinem Kulturminister-Vater Horst Brasch konzentrieren. Die Briefe/Briefentwürfe werden durch Passagen aus dem Roman der Schwester Marion Brasch „Ab jetzt ist Ruhe“ (2012) ergänzt.
Sie war natürlich auch gestern im Publikum und bereits vor acht Jahren Co-Autorin der szenischen Collage „Die Brüder Brasch“, die sie mit Lena Brasch, bekanntlich Tochter von Marion Brasch und Jürgen Kuttner, in den DT-Kammerspielen entwickelte. Damals ging ich mit der Hoffnung aus dem Abend, dass Kuttner/Kühnel diesen Stoff für eine ihrer Revuen aufgreifen könnten. Viele Jahre später ist dies unter der Intendanz von Iris Laufenberg Realität geworden, aber aus den Fragmenten entsteht kein schlüssiges Monolog: der Abend wirkt stellenweise noch mitten im Montage-Prozess, wie eine Art Zwischenstand, der unter Zeitdruck auf die Bühne gebracht werden musste.