Regie: Nikolaus Habjan Premiere: 22. März 2018 (Schauspielhaus Graz) Berlin-Premiere: 21. Juni 2024 (Übernahme ins Repertoire) Deutsches Theater Berlin
Zum Inhalt: Dirigenten sind faszinierende Menschen: Musikalisch von höchster Sensibilität, gebieten sie als gottähnliche Alleinherrscher über riesige Klangkörper. Sie müssen sowohl Empfindsamkeit als auch Führungsstärke mitbringen und sind bisweilen tyrannische, selbstherrliche Despoten, deren Seelenregungen oder Fingerzeige eine Hundertschaft in Bewegung zu setzen vermögen. So wie Karl Böhm, einer der größten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Zwischen Geburt und Begräbnis liegen fast 87 Lebensjahre, die von einem tiefen Zwiespalt geprägt sind: Einerseits war Böhm ein großer Künstler, andererseits war er ein Mensch, der sich mit dem Nationalsozialismus gemein machte, um seine Karriere voranzutreiben.
Auf Fürsprache Hitlers wurde Böhm 1934 an die Semperoper in Dresden berufen, um Nachfolger des Dirigenten Fritz Busch zu werden, den das NS-Regime zum Rücktritt und zur Emigration genötigt hatte. 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, wurde Böhm Direktor der Wiener Staatsoper. 1945 entfernten ihn die alliierten Besatzungsbehörden wegen zu großer Nähe zum Nazi-Regime aus dem Amt des Direktors und belegten ihn mit einem Auftrittsverbot. Nach Ende der Besatzungszeit bis 1956 wurde er dann ein zweites Mal mit diesem Amt betraut.
MIT Nikolaus Habjan REGIE Nikolaus Habjan MITARBEIT Martina Gredler
Einen Abend für Opern-Aficionados bietet Iris Laufenberg als letzte Premiere ihrer ersten Spielzeit am DT Berlin. Genau genommen ist es keine Premiere, sondern „nur“ eine Berlin-Premiere. Bereits im März 2018 kam der Puppentheater-Abend „Böhm“ am Schauspielhaus Graz heraus, das Laufenberg damals leitete. Er ist eine der wenigen Übernahmen ins Berliner Repertoire.
Je größer die Leidenschaft und je tiefer die Kenntnis der Operngeschichte, desto größer vermutlich das Vergnügen an Paulus Hochgatterers Text, den Nikolaus Habjan (unter Regie-Mitarbeit von Martina Gredler) inszenierte und als Solist mit seinen Puppen performt. Die großen Namen der männlichen Diven am Dirigentenpult fliegen dem Theaterpublikum in hoher Schlagzahl um die Ohren: die Furtwänglers, die Karajans, die Celibidaches und manche mehr, vor allem aber natürlich Karl Böhm.
Seine Puppe grantelt sich durch den knapp 100minütigen Abend, attackiert die ach so unfähigen Orchester-Musiker und natürlich auch das zu spät kommende oder an den aus Maestros Sicht falschen Stellen lachende Publikum. In Rückblenden erzählt ein pflegebedürftiger Mann der kleinen Schwester seines migrantischen Pflegers die Stationen von Böhms Karriere: die Anfänge in Graz, wo er ebenso wie Habjan geboren und aufgewachsen ist, über die Kollaboration mit den Nazis an der Dresdner Semperoper bis zu den Protesten, die seine Intendanz der Wiener Staatsoper beendeten. Ob es sich bei der Puppe um den dement gewordenen Stardirigenten oder einen leidenschaftlichen Fan handelt, überlässt Habjan – wie er im Programmheft-Interview erklärt – ganz bewusst der Phantasie des Publikums.
„Böhm“, das am kommenden Wochenende und dann wieder in der nächsten Spielzeit am DT zu sehen sein wird, ist kein so großer Wurf wie „F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderweitig“, mit dem Habjan vor mehr als zehn Jahren bekannt wurde und das seit Februar ebenfalls im Berliner Repertoire zu sehen ist. An Habjans Puppenspiel, das auf den großen Sprechtheater-Bühnen sonst meist nur ein Nischendasein fristet, kann man dennoch auch hier seine Freude haben.