Saisoneröffnung an der Deutschen Oper Berlin. Als Startereignis hat sich Intendant Dietmar Schwarz das 1790 am Wiener Burgtheater uraufgeführte Dramma giocoso „Cosi fan tutte“ mit dem Text von Lorenzo da Ponte ausgesucht, eins von Wolfgang Amadeus Mozarts sakrosankten musikalischen Meisterstücken. Regie und Bühnenbild steuert diesmal Robert Borgmann bei, ein Theaterregisseur, der unter anderem ein Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ absolviert hat und hier sein Debüt als Opernregisseur vorstellt.
Es ist ein Klischee, das sich da Ponte hier auf vielfach gespiegelte Weise vornimmt. Alle Frauen, so seine These, nehmen es mit der Treue nicht gar so genau und sind nur allzu gern bereit, ihre eben geleisteten Schwüre zu vergessen, wenn die Liebhaber in der Ferne sind und stattdessen neue attraktive Männlichkeiten in greifbare Nähe rücken und reale Wonnen verheissen. Nach der Sitte der Zeit werden die daraus resultierenden Konflikte, Skrupel und Selbst- wie Fremdvorwürfe sehr ausführlich ausgebreitet und reflektiert. Es käme also darauf an, ein Regiekonzept zu entwickeln, das diesen streckenweise sogar etwas frivolen Stoff mit seinen bis heute auffindbaren Problemen auf intelligente, aber bitte auch überzeugende Weise in unsere Zeit holt und auf der Bühne nacherleben lässt.
Alles beginnt in durchaus passabler Weise und lässt den ersten Akt über weite Strecken hin leidlich unterhaltsam und gewinnend wirken.Eine pantomimische Rahmenhandlung propagiert während der Ouvertüre das Postulat „Youth“ und nimmt dieses Motiv später mit dem Schlußvorhang erneut auf. Der Bühnenboden ist zunächst eher karg mit gelbfarbigen Stoffbahnen drapiert, die an die Umrisse einer Insel erinnern und durch angedeutete Vegetation ergänzt und belebt werden. Farbige Lichtspiele, Videoprojektionen und ein paar Reminiszenzen an Kostüme und Stilelemente aus Mozarts Zeit wie etwa ein zeitlos dekorativer Kerzenleuchter und einzelne Möbelstücke sind teils auf der kreisenden Bodenplatte der Drehbühne montiert und bringen immer wieder etwas Bewegung in die Szene. Im zweiten Akt wird dieser bis dahin durchaus tolerable Eindruck allerdings durch Versatzstücke und Projektionen ergänzt, die sich nur mit Mühe und viel Phantasie in eine Beziehung zur Handlung bringen lassen. Die Energiewende wird beschworen, indem die Bühne von der übergroßen beweglichen Plastik einer texanischen Ölförderpumpe beherrscht wird, während am Horizont ein dichtes Gewirk von Windrädern auszumachen ist, wie wir es heute aus der brandenburgischen Landschaft kennen.
Angesichts solcher Rätsel wendet sich der Zuschauer desto aufmerksamer dem Spiel der handelnden Personen zu. Da ist zuerst der Advocatus diaboli namens Don Alfonso, verkörpert vom Bariton Noel Bouley, der seine markante und flexible Stimme spielfreudig und situationsgerecht einsetzt. Er nutzt persönliche, etwas pessimistische Lebenserfahrungen, um die beiden jungen Offiziere Guglielmo (John Chest) und Ferrando (Paolo Fanale) zu einer Wette zu überreden. Es sei nicht allzu schwer, so seine These, ihre beiden Geliebten Fiordiligi (Nicole Car) und Dorabella (Stephanie Lauricella) die Partner vergessen zu lassen, wenn die Militärs in den Krieg ziehen, und die Daheimgebliebenen dann zu verleiten, sich mit neuen, attraktiven Jungmännern zu trösten. Die solchermassen disponierte Falle wird eingerichtet, und die fabelhaft wendige Despina (Alexandra Hutton) geht Don Alfonso dabei zur Hand, der Handlung immer wieder die nötigen Impulse zu geben, damit die Wette im Sinne von Alfonso gewonnen werden kann. Was sie dabei mit verstellter Stimme als Notar leistet, verdient besonderen Applaus. Die beiden Soprane, der von Nicole Car und der Mezzo von Stephanie Lauricella, sind gut ausgewählt und ergänzen einander klangschön in den Duettpassagen, haben aber auch dramatischen Ausdruck in ihren ausführlichen Monologen voller Zweifel und Selbstanklagen. Der Bariton von John Chest und der auch in der Höhe schön aufblühende Tenor von Paolo Fanale kämpfen in ihren verwandelten Rollen als attraktive Fremdlinge wacker gegen den anfänglichen Widerstand der beiden verlassenen Geliebten, bis zuerst Dorabella und dann auch Fiordiligi dem Reiz des Neuen erliegen. Resultat sind zwei Eheverträge, vom Notar Despina präsentiert. Kaum ist die Tinte der Unterschrift getrocknet, verwandeln sich die beiden jungen Herren wieder in die heimkehrenden Kriegshelden, die über die kurzlebigen Treueschwüre ihrer Verlobten redlich empört zu sein vorgeben. Am Ende mündet alles in eine umfassende Geste des Vergebens und Vergessens: die Jugend ist vorüber, jetzt beginnt das Erwachsensein.
Donald Runnicles leitet sein aufmerksames Orchester (schöne und saubere Horneinsätze, samtene Streicher) nach dem etwas wuchtigen Einstieg dann ungewohnt leise und sensibel, obwohl ihm Mozart vermutlich weniger liegt als Wagner oder Richard Strauss. Der Schlussbeifall im übrigens nicht gänzlich ausverkauften Haus tönt etwas matt und verklingt ungewohnt früh, wobei das Regieteam ein paar kaum hörbare Anstands- Buhrufe kassiert. Der stets ersehnte „große Wurf“ war’s nicht, aber eine gefällige Aufführung, solide erarbeitet, die ihren Platz im Repertoire finden wird.
http://roedigeronline.de