Mit einem schroffen „Tach“ lässt Nils Kahnwald Benjamin Lillie auflaufen. Kein Wort mehr als nötig, aggressiv-lauernd, auf Distanz bedacht, gibt er seinem Bruder keine Chance auf Versöhnung.
Auf die Eskalation zwischen diesen beiden steuert der Abend hin. Kahnwald hat viel von der bedrohlichen Aggressivität eines Vincent Cassel, der diese Rolle in der Dolan-Verfilmung hatte. Lillie wirkt aber deutlich agiler als der ätherisch-trauerumflorte Gaspard Ulliel, der bei jedem Blick spürbar werden ließ, dass hier ein Todkranker Abschied nimmt.
Es ist der Höhepunkt des Abends, als die beiden Brüder aneinander geraten und Kahnwald Lillie barsch zurückstößt und ihm die Umarmung verweigert. Nur noch schemenhaft tanzend sind die Figuren anschließend auf der Bühne wahrzunehmen, die ganz in Blutrot getaucht ist.
Problematisch ist allerdings die Regie-Entscheidung für den gestrigen Live-Stream:
Christopher Rüping entschied sich dafür, auf das technische Equipment des Schauspielhauses Zürich zu verzichten und setzte fast ausschließlich eine Handkamera ein. Die wackligen Bilder geben der Inszenierung etwas Fahriges. Hektisch schwenkt die Kamera zwischen den Familienmitgliedern hin und her und geht dabei oft genug ins Leere. Die bewusste Entscheidung, die digitalen Möglichkeiten nicht zu nutzen und stattdessen den Urlaubs- und Heim-Video-Stil der 90er Jahre zu kopieren, macht das Zusehen anstrengend. Der Low-Budget-Charakter der Wackelbilder passt zwar zu manchen Szenen mit dem grobschlächtigen, aggressiven Bruder. Aber die Ausschließlichkeit, mit der dieses Mittel hier über den gesamten Abend eingesetzt wird, tut der Inszenierung nicht gut.
Weiterlesen