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    Kritik über: Macbeth
    Die Aufführung von „Macbeth“ im Deutschen Theater Berlin, am 14. November 2015, ein Tag nach den Anschlägen in Paris, widerspricht dieser Hypothese.
    Wer sich auch nur ein wenig mit dem Theater beschäftigt hat, kennt bereits den blutigen Inhalt des Stücks sowie die finsteren, damit verbundenen Gerüchte und Geschichten. Allein der Gedanke, „Macbeth“ in dem heutigen politischen Kontext zu sehen, bereitet einem eine gedrückte Stimmung von Unruhe und Betrübtheit: schweigsam sitzt das Publikum im Saal und wartet auf den Beginn der Aufführung, als die Hauptdarsteller, Ulrich Matthes und Maren Eggert, auf der Bühne erscheinen. Wir werden im Namen des Deutschen Theaters gebeten, eine Schweigeminute für die Opfer einzulegen. Es wird noch klarer, dass dieser Abend unter dem Zeichen der furchtbaren Geschehnisse steht.
    „So schlimm und schön sah ich noch keinen Tag“ ist Macbeths erste Textzeile. Nachdem er die Bühne betrat, schwankend wie nach heftigen Kämpfen, spricht Ulrich Matthes den Beginn kräftig aus und macht vor dem Wort „schön“ eine kleine, aber unüberhörbare Pause. Dieses Wortpaar – „schlimm und schön“ – enthält einen Kontrast, der von dem Schauspieler besonders betont wird. Daraus entstehen weitere Dimensionen unserer theatralischen Begegnung. Die erste Dimension besteht in dem Kontrast zwischen dem Gräuel dieser Tage und der wohltuenden Zusammenkunft im Theater: es wäre viel besser, wenn die Menschen die Gewalt ausschließlich auf der Bühne darstellen würden, als sie in der Öffentlichkeit durch Angriffe auf andere Leute auszuüben.  Ferner haben wir mit einer ästhetischen Dimension zu tun: während Matthes die Rolle eines Mörders spielt, der stolz auf seinen Mut zu blutigen Taten ist, gewährt er uns, durch die Wahrhaftigkeit seiner Stimme und seiner Sprechweise, einen Einblick in das weitreichende Potenzial des menschlichen Bewusstseins. Das lässt sich auch in der Spannung zwischen zwei Haltungen feststellen: die des dargestellten Mörders, für den ein Tag auf dem Kampffeld auch als „schön“ beschrieben werden kann, und die einer echten Person, der solche Taten  äußerst widerlich sind. Diese Spannung nährt und steigert Ulrich Matthes, indem er die beiden Extreme noch deutlicher macht: auf der einen Seite Macbeths Aggressivität, die hier mit drohender Stimme wiedergegeben und dem Urteil des Publikums ausgesetzt wird, auf der anderen Seite den Ekel vor der Tat und die damit verbundene Qual, die sich in dem gebrechlichen, wie vom Übel gefassten Körper des Schauspielers, der manchmal nahe einer Ohnmacht zu sein scheint, in den Sprechpausen und in der Langsamkeit der Bewegung widerspiegeln. 
    Gegen Ende fasst Macbeth seine bisherige Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens so zusammen: „Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild (...) voller Klang und Wut, das nichts bedeutet“ – voll Klang und Wut, aber auch voll Bedeutung durchbricht die Stimme die Luft und die Dunkelheit des Raumes, wo wir uns befinden. Und könnten wir, als Teil der heutigen, von den Grausamkeiten des Terrorismus erschütteten Gesellschaft, die Botschaft der Bedeutungslosigkeit eines Menschenlebens anders als höchst relevant für unsere Gegenwart empfinden? In diesem Moment äußert sich nicht nur Macbeth zum eigenen Leben, sondern auch ein Zeuge der letzten Tage, der machtlos zusehen musste, wie unzählige Leute niedergemetzelt wurden und wie ein Leben in diesem Kontext nichts bedeutet.
    Für diejenigen, die meinen, man gehe ins Theater um sich vom Alltag zu lösen, muss hier eines betont werden: an diesem Abend haben wir, die Zuschauer, Ulrich Matthes sowohl in einer Shakespeare-Figur erlebt, als auch in einer gemeinschaftlichen Aktion, in der wir alle eine Gedenkminute abhielten. Auf der einen Seite hat er sein schauspielerisches Vermögen in der Gestaltung einer Figur eingesetzt, auf der anderen Seite hat er uns, durch sein vorzeitiges Auftreten auf der Bühne, als Vertreter des Deutschen Theaters, Gefühle vermittelt, die dem Macbeth selbst fehlen, wie Mitleid, Gemeinschaftsgefühl und Rücksicht auf Menschenleben. Gerade solche Nebeneinandersetzungen machen das Theater lebendig, gerade an solchen Abenden stellt man am deutlichsten fest, dass das Theater zwei Autoren besitzt: den dramatischen Dichter und die zeitgenossische Geschichte.

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